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Ich bin dann mal offline

Ich bin dann mal offline

Titel: Ich bin dann mal offline
Autoren: Christoph Koch
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aufschließen?«, frage ich Jessica, nachdem ich mir die Zähne geputzt habe. Sie denkt, ich mache einen Witz.
    »Vergiss es.«
    »Bitte! Ich habe vergessen, meine Handymailbox umzustellen. Ich muss den Leuten ja irgendwie sagen, dass es nichts bringt, wenn sie mir eine Nachricht hinterlassen.«
    Mit einem spöttischen Seufzen schließt Jessica die Schublade auf, und ich ändere meine Mailboxnachricht. Wer in den nächsten Wochen anruft, kann zwar keine Nachricht hinterlassen, bekommt aber meine Festnetznummer und Postadresse mitgeteilt. »Und was passiert, wenn eine SMS
    kommt?«, fragt Jessica, als sie gerade das Licht ausschaltet. »Verdammt! «
    Idiot stirbt in Bärenfalle
    Während ich im Dunkeln im Bett liege und darauf warte, dass mich der Schlaf überkommt, rechne ich insgeheim mit wilden Albträumen, die von nichts anderem handeln, als von echten Notfällen, aus denen ich mich nur mittels moderner Telekommunikation retten kann -die mir jedoch ab jetzt durch mein dummes Unterfangen verwehrt bleiben soll. »Ein ausgemachter Idiot (35) starb am Mittwoch nach mehreren Tagen in einer Bärenfalle, da er sich weigerte, sein Mobiltelefon zu benutzen, um Hilfe zu rufen«, schreibt die Fantasiezeitung in meinen Gedanken. Doch entgegen meinen Befürchtungen träume ich nicht von Bärenfallen und anderen Notsituationen, aus denen mich nur die Internetseite »www.wie-man-eine-Boeing-747-landet.de« retten könnte. Sondern von Sex und gutem Essen. Angenehmerweise in zwei separaten Träumen.
    Tag 1 Erste Entzugserscheinungen
    Der nächste Tag -vielleicht sollte ich ihn A-Day oder Analog-Day nennen -beginnt früh. Jessica bricht im Morgengrauen nach Hamburg auf, wo sie gerade in einer Zeitschriftenredaktion arbeitet. Nur an den Wochenenden ist sie in Berlin. Während sie im Bad verschwindet, beginnt für mich die große Herausforderung. Denn normalerweise wäre genau jetzt der Moment gekommen, in dem ich mich mit einer dampfenden Tasse Kaffee an den Computer setze und mit der Internet-Routine beginne: Von der Spiegel-Online-Startseite aus geht es auf zu anderen Nachrichtenseiten, dann den Posteingang von vier Mailadressen prüfen, die sich im Lauf der Jahre angesammelt haben, und schließlich via RSS-Feed 2 nachschauen, welche der abonnierten Blogs seit gestern neue Beiträge veröffentlicht haben -und am Ende nachsehen, wie sich die Zugriffszahlen auf mein eigenes Blog entwickelt haben. Besonders Letzteres kann zur Obsession werden. Vor allem da Google es inzwischen gestattet, nicht nur herauszufinden, aus welchem Land und mit welchem Browser die Leser auf die eigene Seite gekommen sind, sondern auch, wie lange sie geblieben sind. Und -vielleicht am interessantesten
    -welche Suchworte sie zu einem geführt haben. Ich kann mich noch an meine Favoriten der letzten Woche erinnern:
    2 RSS steht für Really Simple Syndication und bezeichnet die Technik, mit der man Blogs oder sich häufig ändernde Webseiten abonnieren kann, um automatisch über neue Beiträge informiert zu werden, ohne sie jedes Mal aufs Neue aufsuchen zu müssen. Die neuen Beiträge können entweder in den gängigen E-Mailprogrammen oder eigenen RSS-Readern angezeigt werden.
    • spiele zum 50. geburtstag mit alkohol
    • humorvolle mietnomaden
    • was sagen millionäre als beruf?
    Heute bleibt mir dieses kleine Vergnügen verwehrt -wie so viele andere. Keine aus Styropor gebastelten SchaltknaufErsatzkonstruktionen auf thereifixedit.com und keine niedlichen schlafenden Hunde auf dreamingofpuppies.com. Aber leider auch weder eine kritische Medienbeobachtung auf bildblog.de noch Analysen zur US-Politik auf slate.com. Jessica macht sich auf den Weg zum Bahnhof. »Sei tapfer«, sagt sie zum Abschied. Dann bin ich auch schon allein. Als Informations-Methadon besorge ich mir eine Tageszeitung beim Buchladen nebenan, den ich sonst vor allem betrete, um dort abgegebene Amazon-Pakete abzuholen. Ein Wunder, dass die Buchhändlerin trotzdem stets freundlich zu mir ist. Die Zeitung hat vor allem einen Nachteil: Sie ist irgendwann zu Ende. Doch ich habe mir vorgenommen, mich nicht über die Dinge zu grämen, die ich durch mein Online-Embargo verpasse, sondern stattdessen diejenigen freudig zu umarmen, die ich dadurch hinzugewinne. Ein großer Vorteil, den ich mir vom Verzicht auf E-Mail und Instant-Messaging, Twitter und Facebook verspreche, ist ein Mehr an persönlicher Kommunikation. Echte Gespräche statt schneller Status-Updates und kurzer Mails voller Tippfehler.
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