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Ich bin dann mal offline

Ich bin dann mal offline

Titel: Ich bin dann mal offline
Autoren: Christoph Koch
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Gott, oder wer auch immer das Internet erfunden hatte, einen anderen Plan vorgesehen. Ein tieferes Tal, durch das er mich führen wollte. Die erste Zeit behalf ich mich noch mit regelmäßigen Besuchen in einem nahegelegenen Internetcafe. Doch erstens roch es dort nach dem Fett der angrenzenden Imbissbude sowie nach ungeduschten Backpackern. Und zweitens liegt der Zauber des Internets ja nicht darin, dass man eine Jacke anziehen, das Haus verlassen und jemand anderem Geld dafür geben muss, damit man nachsehen kann, wer das Lied »A Walk in the Park« geschrieben hat. Der Zauber des Internets liegt darin, dass man diese Frage genau in dem Moment klären kann, in dem sie einem in den Sinn kommt oder der Freund sie aufwirft, mit dem man sich gerade auf dem Balkon betrinkt. Das Internetcafe war keine echte Lösung. Als ich vor etwa zehn Jahren meine ersten Erfahrungen mit dem Internet sammelte, war es noch völlig ausreichend, einmal am Tag in den sogenannten »Informatikraum« der Universität zu gehen, an der ich damals vorgab, zu studieren. Man sah seine E-Mails durch, die zu jener Zeit nur sporadisch eintrudelten. Nachrichten von Menschen, die man beim
    »Backpacken« auf anderen Kontinenten kennengelernt hatte. Probeweise gab man auch mal »Winona Ryder nude« in die Suchmaschine ein, die damals noch Altavista oder Hotbot statt Google hieß (der Browser nannte sich noch Netscape), und errötete, wenn man tatsächlich in dem Augenblick ein Bild der Schauspielerin zu sehen bekam, in dem jener Streberstudent, der den Informatikraum hütete, hinter einen trat. Dann hatte man für eine Weile genug aufregendes Internet gehabt und ging wieder nach Hause.
    24 Stunden am Tag vernetzt
    Heute ist das anders. Heute funktioniert Internet im Grunde nur noch, wenn es immer und dauerhaft verfügbar ist. Wir wollen »always on« sein, immer verbunden mit der Welt. Was dazu geführt hat, dass der Begriff »Flatrate«, der in Deutschland ursprünglich für einen zeitlich unbegrenzten Internetzugang zum Festpreis geprägt worden war, inzwischen auch auf Saufpartys und sogar Bordelle angewendet wird. Statt jedes Mal mühsam das Telefon aus-und das Computermodem einzustöpseln, damit es sich unter rhythmischem Kreischen und Pfeifen ins Internet »einwählt«, wie es noch Anfang dieses Jahrtausends üblich war, ist heute zumindest in den Städten eine DSL-Leitung Standard, die nicht nur schnellere Verbindungen ermöglicht, sondern in Kombination mit einer Flatrate auch nicht unterscheidet, ob man fünf Minuten oder 24 Stunden am Tag online ist. Wie immer mehr Menschen lasse auch ich meinen Computer inzwischen tagsüber kontinuierlich eingeschaltet, selbst wenn ich gar nicht davor sitze. Im ständigen Wechsel zwischen Online-und Offlinewelt jedes Mal den Prozess des Hoch-und Runterfahrens des Rechners abzuwarten, würde viel zu lange dauern. Ihn aus dem sogenannten Ruhemodus »aufzuwecken« -in den er sich selbst versetzt, wenn man ihn zum Beispiel fünf Minuten nicht benutzt -, dazu braucht es nur einen Tastendruck und sofort ist er wieder da und online. Und ich bin wieder verbunden mit der Welt.
    Um dieses Gefühl endlich wieder erleben zu. können laufe ich nun also von meinem Dealer in Gestalt eines neonbeleuchteten E-Plus-Ladens nach Hause. Aber wie bei jedem echten Junkie folgt auf das High der unvermeidliche Kater. Den USB-Stick, das »Internet aus der Tüte«, kann ich zwar tatsächlich sofort in meinen Computer einstöpseln und bin innerhalb weniger Sekunden wieder online
    -doch zu welchem Preis? 24 Monate habe ich mich vertraglich gebunden, für 25 Euro pro Monat. Als ich die Gesamtsumme kurz überschlage, fällt mir mein Handy mit integriertem Taschenrechner beinahe aus der Hand: 600 Euro -für etwas, das ich eigentlich schon längst haben sollte, wenn es mir die schnippischen Call-Center-Menschen nicht mit absurden Ausflüchten verwehren würden. 600 Euro, nur um nicht noch eine weitere Woche ohne Internet sein zu müssen. Für einen Moment fühle ich mich dumm, nutzlos, verraten und vor allem: abhängig! Von einer Technik, die doch eigentlich dazu da sein sollte, mir zu dienen und mir das Leben zu erleichtern. Doch meine Scham währt nur so lange, wie das vertraute und so lang vermisste Geräusch auf sich warten lässt: Mit einem Bing -wie wenn man mit einem Löffel an ein leeres Glas klopft -verrät mir mein Computer: Eine neue Mail ist angekommen. Ein »Kyrie Eleison«, gesungen von allen Erzengeln zusammen, könnte nicht
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