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Ich bin dann mal offline

Ich bin dann mal offline

Titel: Ich bin dann mal offline
Autoren: Christoph Koch
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schöner klingen.
    Ich habe seitdem vielen Menschen von meinen Leiden durch kalten Internet-Entzug erzählt und war wirklich überrascht von der Resonanz. Hatte ich mich anfangs für einen Extremfall gehalten, für einen Computer-Nerd, bei dem Internet-Manie und niedrige Frustrationstoleranz zusammenkamen, so merkte ich schnell: Ich war nur einer von vielen. Fast alle, denen ich meine 600-Euro-Dummheit beichtete, erzählten, schon einmal ähnlich kurz vor dem Nervenzusammenbruch gestanden zu haben. Hotels waren gewechselt worden, weil in dem ursprünglich ausgewählten zwar ein exzellentes Spa, aber eben kein Internetanschluss verfügbar war. Handys waren aus dem Fenster geflogen, nachdem zum wiederholten Male der Akku mitten im Gespräch und lange vor seiner Zeit den Dienst quittiert hatte. Eine Beziehung war (zum Glück nur beinahe) daran zerbrochen, dass einer der Beteiligten zu Zeiten des Einwahlmodems die Telefonbuchse so oft belegte, dass seine Partnerin nicht mehr ihre geliebten und für sie wichtigen Telefonate führen konnte.
    Hassliebe zum Handy
    Sind die technischen Neuerungen also ein Fluch oder ein Segen? Die meisten würden -vermutlich zu Recht -antworten: beides. Bei einer groß angelegten kanadischen Studie wurden über 31 000 Menschen zu ihren Kommunikationsgewohnheiten und den Auswirkungen neuer Technologien befragt. 70 Prozent gaben dabei an, durch den Einsatz mobiler Kommunikation habe ihre tatsächliche Arbeitsbelastung sowie der dadurch empfundene Stress zugenommen. Gleichzeitig berichtete eine fast ebenso große Mehrheit (68 Prozent), durch den Einsatz genau dieser Technologien sei sie produktiver geworden.
    So oder so: Immer mehr Menschen fühlen sich abhängig von den modernen Kommunikationsmitteln wie (Mobil)Telefon und Internet. Sie können sich nicht mehr vorstellen, ohne sie zu existieren und wollen es auch nicht. Denn das Paradoxe an unserem Verhältnis zu diesen Techniken ist: Einerseits bereichern und vereinfachen sie unser Leben so sehr, dass wir um nichts auf der Welt mehr darauf verzichten wollen und ihren Einfluss geradezu genießen. Andererseits fühlen wir uns gleichzeitig vom klingelnden Handy, dem summenden Blackberry oder der endlosen Weite des Internets auch überfordert, gestresst oder verängstigt. Deutlich wird unser gespaltenes Verhältnis oftmals am Umgang mit dem Gerät selbst: »Gib doch Ruhe«, herrschen wir das verhasste Handy an, das binnen zehn Minuten zum dritten Mal laut piepsend einen Anruf anzeigt. Aber wenn sich dann über einen längeren Zeitraum keiner bei uns meldet, empfinden wir das als zunehmend beunruhigend: »Heute ist aber auch gar nichts los. Wo sind denn alle?« Und fragen uns, ob wir nicht mehr wichtig für die Welt sind. Gleichzeitig legen wir Wert darauf, stets ein neues Modell zu besitzen, stecken es in alberne Schutzhüllen und Gürteltaschen oder bekleben es mit nicht weniger albernen Schmuckaufklebern, um das kostbare Kleinod zu individualisieren -mein Handy und ich!
    Gerade bei den Jungen, den sogenannten »digital Natives« (also digitalen Ureinwohnern), die mit Internet und Handy großgeworden sind und das Wählscheibentelefon oder Faxgerät fast nur noch aus Erzählungen kennen, ist die Online-Bindung immens stark. Laut einer Umfrage des Branchenverbandes BITKOM unter 14-bis 29-Jährigen konnten sich 97 Prozent kein Leben ohne Handy mehr vorstellen, ein Leben ohne Internet schien für 84 Prozent ausgeschlossen. Das Interessante: Nur 43
    Prozent der (relativ jungen) Zielgruppe sah ein Problem darin, auf ihren derzeitigen Partner zu verzichten. Ohne Auto zu leben, stellten sich 64 Prozent unmöglich vor. Doch es sind keinesfalls nur Teenager, die dem Internet den Vorzug vor der Realität geben. In einer vergleichbaren Umfrage gaben 46 Prozent der erwachsenen Frauen an, eher für zwei Wochen auf Sex verzichten zu wollen, als in diesem Zeitraum ohne Internet zu sein. Die Zahl stieg dabei noch je nach Altersgruppe: So würden sogar bis zu 52 Prozent Frauen im Alter zwischen 35 und 44 Jahren das Internet vorziehen. Und dieses Phänomen beschränkt sich nicht nur auf den weiblichen Teil der Befragten: Auch 30 Prozent der Männer ist ihr Internet-Zugang wichtiger als Sex.
    Die Idee vom Selbstversuch
    Meine Freundin Jessica lacht mich aus, als ich mit dem absurd teuren Internet-Stick in der Tüte nach Hause komme. »Wenn ich mal ein paar Tage unterwegs bin, kommst du damit deutlich besser klar, als wenn du ein paar Tage aufs Internet verzichten
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