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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin
Autoren: Anne Butterfield
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einen Nadelwald ist die letzte Zuflucht vor der Urbanität, denn anschließend betreten wir die Teerstraße zum Monte del Gozo, dem Freudenberg. Die mittelalterlichen Pilger haben auf diesem kleinen Hügel, überwältigt vom ersten Blick auf Santiago, buchstäblich Freudenschreie ausgestoßen. Lozano erzählt uns, dass sogar von Vach, der mürrische Deutsche, beeindruckt war: »Von einem Gipfel aus, am Fuß eines in einem Steinhaufen steckenden Kreuzes, bewundern die Pilger die Schönheit dieser Stadt.«
    Santiago de Compostela ist tatsächlich schön, aber nicht von hier aus betrachtet. Ein paar Pilger stehen auf dem Hügel herum, aber keiner von ihnen stößt Freudenschreie aus. Ich versuche angestrengt, die Türme der Kathedrale im Tal unten auszumachen, sehe aber nur die für spanische Vorstädte typischen rötlichen und weißen Wohnblocks. Absurderweise hat auch der Besuch von Papst Johannes Paul II., der so viele moderne Pilger auf den Camino gelockt hat, mit dazu beigetragen, dass sich dieser historische Berg in ein kitschiges Picknickareal verwandelt hat. Ein steinerner, bunkerähnlicher Kasten auf dem Gipfel erinnert an die wenigen Schritte, die er hier getan hat. Das naive Relief an einer Seite, das den Einzug des Papstes in Santiago zeigt, regt mich immerhin dazu an, den Hügel hinab auf mein Ziel zuzumarschieren.
    Dass der Monte del Gozo für heutige Pilger alles andere als ein besonderes Erlebnis ist, spielt keine Rolle. Es hat unserenCamino weder aufgewertet noch verdorben. Auf die Erinnerungen, die wir seit Saint-Jean-Pied-de-Port (oder Sarria) gesammelt haben, hat das keinen Einfluss. Die wackelige Fußgängerbrücke am Fuß des Hügels besteht noch aus den gleichen schwankenden Planken wie vor neun Jahren. Ich blicke über das Geländer auf den Verkehr, der auf der A 9 nach Pontevedra und La Coruña rauscht, und denke daran, wie gewöhnlich mir dieser Zugang nach Santiago 2001 erschienen ist. Schwer vorstellbar, dass die Kathedrale in greifbarer Nähe liegt. Tut sie aber.
    Durch immer schmalere Straßen gelange ich auf die mit Kopfstein gepflasterte, sehr galicische Rúa de San Pedro. Funkelnde Glasbalkone über mir lenken mich von einem ersten Blick auf die Türme der Kathedrale ab, die am Ende der Straße über die roten Dächer lugen. Ich eile steil bergab in die noch schmalere Rúa das Casas Reais und laufe fast jemandem in die Arme, der mir bekannt vorkommt. Ein hochgewachsener, ganz in Grau gekleideter junger Mann geht geradewegs auf mich zu. Es ist Bob, der »Jungkontrolleur«, der immer um zwei Uhr Schluss macht.
    »Bob! Hallo, Bob!«
    »Hallo«, sagt er ruhig.
    »Wo gehst du hin?«
    »Zum Busbahnhof, nachsehen, wann der Bus zum Flughafen fährt.«
    »Du fliegst nach Hause?«
    »Ja, morgen, nach Amsterdam.«
    »Ich freue mich so, dich zu treffen! Du siehst prima aus. Komm, ich mache ein Foto von dir, gib mir deine Kamera.«
    »Ich habe keine.«
    »Was? Dann stell dich da hin, und ich fotografiere dich mit meiner. Du musst deiner Mutter zeigen, wie gut du auf dem Camino ausgesehen hast.«
    Er strotzt vor Gesundheit. Wir sehen alle schlanker, gesünder und glücklicher aus als vor zwei Monaten, aber Bob schafft es, ein langweiliges Foto von mir und einigen Recyclingcontainern zu machen. Darum hat er wohl keinen Fotoapparat, dafür interessiert er sich nicht. Ich weiß aber, was ihn interessieren wird.
    »Bob, es tut mir leid, wie hast du das verkraftet, als …«
    »Es lag am Schiedsrichter. Er hat das Spiel verpatzt. Er hatte es nicht unter Kontrolle. Es war seine Schuld.«
    »Aber Bob, dieses Foul, du musst doch zugeben …«
    Ich verstumme. Er ist Niederländer. Er ist mein Freund. Er ist immer noch wütend. Ich werde es nicht mehr erwähnen. Aber dieses Foul, das muss man wirklich zugeben …
    Wir verabreden, abends nach einander Ausschau zu halten, und marschieren in getrennten Richtungen davon. Es ist erst 13 Uhr, Bob hat also noch Zeit, seine Busfahrkarte zu kaufen, bevor er um 14 Uhr Feierabend macht. Die Straße führt auf die Plaza de Cervantes, wo Hunderte von Touristen im Freien an Tischen sitzen und anderen Pilgern auf der Rúa da Acibechería zusehen. Ich folge den Pilgern (die inzwischen den Einkaufsbummlern zahlenmäßig unterlegen sind) auf die Plaza de la Inmaculada, wo die Nordfassade der Kathedrale zur Linken ins Blickfeld kommt. Eine riesige Pilgerschar schiebt sich durch die Tür, ich hingegen bin für den Besuch noch nicht bereit. Unter einem dunklen Bogenvorsprung der
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