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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin
Autoren: Anne Butterfield
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heiligen Jakob ein letztes Mal die Beichte abzunehmen.
    »Was kannst du denn schon Böses getan haben?«, fragte ich Miriam beim Verlassen der Kirche.
    »Jeder von uns hat vor Kurzem irgendeinen Fehler gemacht«, erklärte sie.
    »Ich nicht! Ich bin Pilgerin!«, scherzte ich.
    Heute Morgen um 6 Uhr 30 stelle ich meine Füße fest auf den Boden und ziehe meinen Rucksack unter dem Stockbett hervor. Gerade als ich den Hüftgurt schließe, höre ich ein leises Rauschen, wie von Wind in den Bäumen. Ich blicke aus dem schmalen, hohen Glasfenster hinter meinem Bett und sehe den Regen herabstürzen. Der Plastikumhang aus Nájera tritt erst zum dritten Mal auf diesem Camino in Aktion, zweimal davon in Galicien.
    Auch zehn Kilometer weiter schüttet es noch in Strömen, als ich aus einer Allee tropfender, den schlammigen Pfad beschirmender Platanen trete. Am Flughafen zu meiner Linken landen bereits Flugzeuge, hohe Scheinwerfer neben dem Pfad weisen ihnen den Weg zur Landebahn. Wenn ich nicht langsamer gehe, werde ich vor der Ankunft des Fluges aus England da sein, der meine Schwester und eine Freundin bringt. Dann muss ich auf der Plaza del Obradoiro auf sie warten, als wären sie die Pilger und ich die Touristin. Und was der Camino von Touristen hält, wissen wir bereits. Damit mein großer Auftritt bloß nicht durch zu frühes Ankommen Schaden nimmt, halte ich mich unnötig lang in der Casa de Amanero auf, einem tadellosen hostal in Vilamaior, und widme mich der Tätigkeit, die Hans und ich 2001 bis zur Perfektion betrieben haben – ich trödle herum.
    Zu diesem Zweck inspiziere ich zum Beispiel die Berge von »Glücksmünzen«, die auf den zahlreichen Vorsprüngen der steinernen Wände des Speisesaals abgelegt wurden. Ich gebe mich der kindlichen Vorstellung hin, meinen Kaffee mit dem Münzhaufen bei meinem linken Knie zu bezahlen. Ich weiß, dass von mir ein Beitrag zu der Sammlung erwartet wird, nicht, dass ich etwas stehle, doch ein kleiner Diebstahl entspräche so ganz der leichtfertigen Stimmung, die ich heute empfinde. Ich bin nur zehn Kilometer von meinem Ziel entfernt. Wie ich gehofft habe, wächst meine Aufregung, aber die Angst, enttäuscht zu werden, verschwindet trotzdem nicht. Es ist aufregend gewesen, den anstrengenden Camino durchzustehen und zu erobern. Es hat sehr viel Spaß gemacht! Es ist ein Privileg gewesen, diesen Fußweg zu gehen, und jetzt ist er so gut wie zu Ende. Wie lässt sich Enttäuschung vermeiden, wenn ein Ziel erreicht ist?
    Die Welt draußen rückt immer näher. Ich schiebe das Unvermeidliche mit einem weiteren Kaffee hinaus und öffne mein Exemplar der Voz de Galicia . La Voz bringt den Wortlaut der scharfen Debatten, die sich in Argentinien die verschiedenen politischen Fraktionen im Kampf um die Zukunft des Landes liefern. Ich lag mit meiner Einschätzung gestern in Arzúa richtig, Präsidentin Kirchner steht für Integration und Toleranz. Nicht richtig beurteilt hatte ich allerdings die Verbissenheit der reaktionären Kräfte. Monseñor Jorge Bergoglio, der höchste Vertreter der katholischen Kirche Argentiniens, hat das vorgeschlagene Gesetz zur gleichgeschlechtlichen Ehe »einen Rückschlag für die Menschheit« genannt, »das bösartige Werk eines schlauen Teufels, der darauf aus ist, Gottes Ebenbild zu zerstören«. Der Geist des Camino scheint in Präsidentin Kirchner durchaus lebendig zu sein, aber was die Kirchenobersten angeht … ob sie in letzter Zeit in Erwägung gezogen haben, auf Pilgerschaft zu gehen?
    Eine breite Straße draußen vor der Casa Amanero führt in steilem Anstieg zu einer Reihe Häuser. Pilger marschieren oder trotten oder schlendern dahin, allein, paarweise oder in Gruppen, still oder im Gespräch und lachend. An ihrem Gang, ihrem Gepäckvolumen und dem Dreck an ihren Schuhen kann manleicht erkennen, ob sie Kurzzeit- oder Langzeitpilger sind. An vielen Rucksäcken, einschließlich meinem, hängen spanische Flaggen, die unseren Stolz auf unseren eigenen und den Erfolg des Landes zeigen. Zwei australische Frauen mit riesigen Rucksäcken torkeln stöhnend und ächzend den kurzen Anstieg hinauf.
    »Dem Mistbuch zufolge soll es hier hügelig sein!«
    »Hügelig nennen die das?«
    »Ja, aber nach dem Monte del Gozo geht es nur noch bergab«, versichere ich ihnen und flitze an ihnen vorbei.
    Als ein Müllwagen mich zwingt, mich an eine gestutzte Buchsbaumhecke zu drücken, weiß ich, dass die Pilgerreise ihrem Ende zugeht. Ein Pfad aus Schiefersteinen durch
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