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Ich bin da noch mal hin

Ich bin da noch mal hin

Titel: Ich bin da noch mal hin
Autoren: Anne Butterfield
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einer christlichen Wallfahrt. Die Wahrheit war die ganze Zeit da, in meiner eigenen Tradition , von der ich mich abgewendet hatte, als ich bei ihr keine Antworten auf meine Fragen finden konnte. Vielleicht hatte ich nur die falschen Fragen gestellt.
    Der Camino hat mich nicht nur nach Santiago geführt, sondern auch zu den Wurzeln meiner eigenen Spiritualität. Darum also ließ Pater Augusto bei der nervenaufreibenden Messe in Triacastela das Ende der Geschichte offen. Jesus blickte seinenbeiden begriffsstutzigen Jüngern auf der Straße nach Emmaus direkt ins Auge. Er war die ganze Zeit da, sprach von Angesicht zu Angesicht mit ihnen, und trotzdem erkannten sie ihn nicht. Nein, sie blieben dummerweise traurig stehen . Was für Idioten.

Freitag, 16. Juli 2010
    Ich wandere 20,3 Kilometer von Arca O Pino nach Santiago de Compostela, wo ich dem heiligen Jakob eine Umarmung bringe
    Hans hat auf mein Stimmungstief irgendwann diese Woche mit dem Spruch eines angeblichen Landsmanns von mir geantwortet:
    Pilgerschaft
    Der Ort, wo dich das Leben lehrt
    Sie macht dich klein und doch ganz groß
    Stets vorwärts gehts, kein Blick zurück
    Der einz’ge Weg zur Tiefe deines Herzens
    Darum … geh weiter!
    Gedicht von Richard M. Warding, Second Earl of Surstham (1812–1890)
    So, so. »Darum … geh weiter!« klingt für mich allerdings überhaupt nicht nach englischem Adel des 19. Jahrhunderts …
    Seit ich in Logroño vernünftigerweise das Fahrrad stehen ließ, habe ich gewusst, dass ich »weitergehen« würde. Nachdem der kritische Punkt überwunden war, hätte mich nur noch ein wirklich dramatisches Ereignis wie eine schwere Verletzung oder ein Todesfall in der Familie zum Aufgeben bringen können. Aus einer bloßen Laune heraus abzubrechen, wäre für mich eine allzu kleinmütige Niederlage gewesen. Jetzt, da ich aus berufener Quelle erfahre, dass der Weg dich »klein und doch ganz groß« macht, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass zumindest so gesehen meine Reise eine echte Pilgerschaft gewesen ist.
    »Warum tun wir uns das alle an?«, hatte ich leise vor mich hingemurmelt, als ich in Ribadiso die Augen schloss.
    »Um Distanz zwischen mein altes und mein neues Leben zu bringen«, hatte die Pilgerin im Nachbarbett geantwortet. Und im Nachdenken darüber war ich eingeschlafen.
    Als ich gestern Abend in dem kleinen Dorf Arca O Pino ankam, traf ich in der modernen Albergue Porta de Santiago meine drei Freunde aus Sevilla. Ich gab ihnen keine Chance, den pulpo und ribeiro in Melide zu erwähnen.
    »Hallo!«, sagte ich und fuhr, ehe jemand den Mund aufmachen konnte, sogleich fort: »Macht ihr den Weg aus einem bestimmten Grund?«
    »Ich habe ein Gelübde abgelegt«, sagte Fernando.
    »Was für ein Gelübde?«
    »Ich habe Gott um etwas gebeten und versprochen, dafür nach Santiago zu gehen.«
    An seinem ernsten Gesichtsausdruck merkte ich, dass Fernando nicht etwa darum gebeten hat, in der spanischen Lotterie, El Gordo , zu gewinnen.
    »Und jetzt bist du hier! Hat Gott dir also gegeben, worum du gebeten hattest?«
    »Sí.«
    »Darf ich fragen, was du von Gott gedacht hättest, wenn er dir nicht geholfen hätte?«
    »Dass er gute Gründe dafür hatte.«
    Wieder einmal fragte ich mich, wozu man Gott um etwas bittet, wenn er vorab schon entschieden hat, was gut für uns ist. Überlegt Er es sich manchmal anders, wenn gewöhnliche Sterbliche ihm eine überzeugende Alternative präsentieren? Wäre Er dann nicht eher ein kapriziöser Gott aus der griechischen Mythologie als der Gott der Liebe? Meiner Gottesvorstellung, das war klar, fehlte es an dem direkten Draht, den Fernando offenbar hatte. Doch unsere widersprüchlichen Ansichten bestätigten nur Saint-Exupérys Behauptung: »Wir sind alle Pilger, wir wandern auf verschiedenen Wegen zum gemeinsamen Ziel.«
    Die unterschwellig erwartungsvolle Atmosphäre herrschte gestern Abend in Arca nicht nur in der albergue , sondern auch draußen im Supermarkt, in der Bar Regueiro und im Restaurant Galaico. Die Pilger strömten in die Kirche, wo sechs Priester, einige davon selbst Pilger, den Gottesdienst abhielten. Eine Gruppe von Pfadfindern in der ersten Reihe begleitete die Gemeinde auf der Gitarre. Ich stand hinter Fernando, Miriam und Nadja, beneidete sie um ihren scheinbar unerschütterlichen Glauben und fragte mich wie stets bei Gottesdiensten, wie sie ihn sich hatten bewahren können. Die Priester verteilten sich in der Kirche, um den Pilgern vor ihrer morgigen Begegnung mit dem
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