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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
Autoren: Martin Wehrle
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am Ende teuer zu stehen kam.
    Jürgen Kamp, EDV -Organisator
    Betr.: Wie Saulus, der mein Chef war,
zu Paulus wurde
    Â»Quetscher«, so nennen wir unseren Abteilungsleiter, weil er der brutalste Vorgesetzte der ganzen Firma ist. Er presst seine Mitarbeiter aus wie Orangen. Mit seinem Lieblingsbefehl »Aber heute noch!« verteilt er Arbeiten, die ohne Nachtschicht nicht zu bewältigen sind. Und wehe, ein Vorgang wird nicht fertig! Dann tobt er wie eine Furie. Sogar am Wochenende oder im Urlaub ruft er wegen Nichtigkeiten an und pfeift Mitarbeiter in die Firma zurück. Unsere ganze Abteilung ist ein einziger Hochdruckbehälter.
    Nicht jeder hält diesen Druck aus. Bei den Burn-out-Fällen ist unser Team unangefochtener Rekordhalter. Offenbar war das auch der Geschäftsleitung aufgefallen, denn eines Tages wurde unser Chef zu einer Fortbildung kommandiert: Er sollte sich eine Woche lang in »Burn-out-Prävention« schulen lassen.
    Wir rieben uns die Hände: Wenn das keine gerechte Strafe war! Er, der Quetscher, sollte lernen, dass auch die Arbeit ihre Grenzen haben musste. Doch er kam zurück, wie er gegangen war: als Schinder. Der Arbeitsdruck raubte uns die Luft. Sogar Kranke schleppten sich ins Büro. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das nächste Burn-out-Opfer aus den Latschen kippte.
    Dennoch war die Schulung nicht ohne Folgen geblieben: Unser Chef, hauptberuflich Saulus, hatte einen Nebenjob an genommen – als Paulus. Wir konnten es kaum glauben: Wie ein Wanderprediger zog er – ausgerechnet er! – durch die Firma und dozierte über sein neues Spezialthema: die Burn-out- Prävention. Das kam gut an bei seinen Chefkollegen. Und offenbar auch bei der Geschäftsleitung, zumal unsere Firma einen miserablen Ruf hatte, was den Umgang mit Mitarbeitern anging.
    Eines Tages erreichte alle 300 Mitarbeiter eine Rundmail: »Burn-out-Beauftragter ernannt«. Der Quetscher flog als rettender Engel aller Burn-out-Gefährdeten ein! Es hieß, er beschäftige sich »schon jahrelang mit diesem Thema« (so kann man es auch nennen, wenn einer seine Mitarbeiter in die Krankheit peitscht!) und habe sich »fundiert in diesem komplexen Feld fortgebildet« (was kann an einem Wochen-Seminar ›fundiert‹ sein?). Mir kam das vor, als hätte man Al Capone zum Polizeichef gewählt.
    Unsere Firma trommelte eine Pressekonferenz zusammen und stellte den neuen Burn-out-Beauftragten vor. In den Artikeln wurde die »vorbildliche Burn-out-Prävention« unseres Unternehmens gelobt. Die Wahrheit war in der Zeitung nicht zu lesen – nur in den geschundenen Gesichtern meiner Kollegen!
    Sandra Horn, Referentin
    Betr.: Wie sich mein Kollege den Mund
an einem Mikrofon verbrannte
    Unsere Fabrik hatte einen schlechten Ruf in der Region: Mehrfach waren giftige Abwässer in den angrenzenden Fluss geschäumt. Jeder wusste, woran das lag: an der völlig überalterten Kläranlage. Tote Fische auf der Titelseite der Lokalzeitung waren keine gute Werbung für uns. Doch die Kläranlage wurde immer nur geflickt, nie von Grund auf erneuert.
    So war ich kaum überrascht, als eines Morgens wieder die Hausmitteilung kam: »Aufgrund einer technischen Panne sind wieder Abwässer in den Fluss geraten.« Erneut trieben Fische kieloben durch die Landschaft. Und die Vögel, die von diesen Fischen fraßen, würden demnächst von den Bäumen fallen.
    Mit drei Kollegen machte ich mich auf den Weg zur Kantine, die auf einem Nebengrundstück lag. Da kam ein Mann mit Mikrofon auf uns zu: »Haben Sie schon von der Gifteinleitung gehört?«
    Â»Ja«, sagte mein Kollege Jörg im Weitergehen, »wir wissen davon.«
    Der Reporter folgte uns wie Fußballstars auf dem Weg zur Kabine: »Wie erklären Sie sich das?«
    Â»Die Kläranlage ist halt nicht mehr die jüngste«, sagte Jörg.
    Wir hatten die Kantine erreicht. Der Reporter bedankte sich.
    Am Abend hörte ich auf dem Heimweg im Auto den Lokalsender. Dort war der Chemieunfall das Spitzenthema. Der Moderator sagte: »Umweltschützer kritisieren, dass die Technik der Anlage veraltet sei. Diesen Standpunkt teilen auch Mitarbeiter.« Und nun hörte ich Jörgs Stimme mit einem vertrauten Satz: »Die Kläranlage ist halt nicht mehr die jüngste.«
    Am nächsten Tag wurde Jörg zum Direktor zitiert. Der war noch giftiger als die Chemiebrühe im
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