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Mittagessen Nebensache

Mittagessen Nebensache

Titel: Mittagessen Nebensache
Autoren: Mary Scott
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    »Aber Mutter!« stieß ich verzweifelt aus. »Dawn würde es hier niemals gefallen! Es ist viel zu einsam bei uns. Außerdem kennt sie Paul nur ganz flüchtig. Es wäre bestimmt ein Fehler.«
    Mutters Stimme tönte mit liebenswürdiger Resolutheit und klar verständlich durch den Draht, obwohl die letzten dreißig Meilen des Gemeinschaftsanschlusses stark gestört waren.
    »Bitte Susan, sprich deutlicher. Ich kann dich nicht verstehen. Wie ich schon sagte — der Aufenthalt bei euch wird dem Kind bestimmt guttun. Sie ist noch ein wenig flatterhaft, hat überhaupt kein Verantwortungsgefühl. Sie braucht eine ernsthafte Beschäftigung.«
    Ich versuchte in einer höheren Tonlage zu antworten, aber mein Worte arteten lediglich in ein schrilles Gekreisch aus.
    »Womit sollte sie sich denn hier beschäftigen? Du weißt doch, wie sie das Landleben haßt. Bei uns gibt es keine Parties, für solche Dinge ist keine Zeit. Wir haben unheimlich viel Arbeit.«
    »Ganz recht, Darling«, tönte Mutters Stimme voller Triumph. »Ich wußte doch, daß du mich verstehst. Laß sie tüchtig arbeiten. Genau das ist es, was Dawn braucht. Hallo... was ist denn? Bitte Susan, versuche doch endlich einmal, ordentlich zu sprechen!«
    Verzweifelt probierte ich es mit einer tiefen, orgelähnlichen Stimme, aber Mutter antwortete prompt, ich möge doch gefälligst den Rundfunk abdrehen. Es hatte keinen Sinn. Ich konnte sie deutlich verstehen, sie mich aber nicht. Dadurch befand sie sich zweifellos stark im Vorteil.
    »Es handelt sich ja nur um neun Monate«, sprach Mutter weiter. »Vaters Firma besteht darauf, daß er die Vertretung in Amerika und England übernimmt. Für mich ist das eine großartige Chance, einmal herauszukommen.«
    Dieses letzte Argument ließ mich kapitulieren. Mutter verabscheut Gefühlsduseleien und hat sich niemals beklagt, obwohl es so gut wie gar keine Abwechslung in ihrem Leben gegeben hat. Keine finanziellen Sorgen, ein schönes Haus in einem gepflegten Vorort, zwei versorgte Töchter — die eine erfolgreich, die andere weniger erfolgreich verheiratet, nämlich mit einem gewöhnlichen Bauern, wie sie sich einstmals sehr offenherzig äußerte — , eine Tochter noch daheim. Und eben um diesen letzten und jüngsten Sproß der Familie drehte sich unser Gespräch. Es wäre häßlich von mir gewesen, durch meine Weigerung, Dawn aufzunehmen, Mutters Reisepläne zu verderben. Aber trotzdem — ich hatte doch Dawn seit Jahren nicht mehr gesehen... Mutig unternahm ich einen letzten Versuch.
    »Felicity!« rief ich fröhlich. »Warum geht Dawn nicht zu Felicity? Dort fände sie doch ein Leben nach ihrem Geschmack. Großstadt, Parties, Geld in Hülle und Fülle! Bei uns würde sie vor Langeweile umkommen.«
    »Sagtest du Felicity ...?« Selbst über die riesige Entfernung hin war eine gewisse Reserviertheit in Mutters Stimme nicht zu überhören. »Nein, nicht zu Felicity! Ich habe meine Gründe.«
    Die Tatsache, daß meine Schwester Felicity ein Baby erwartete, konnte kaum der Grund für Mutters strikte Ablehnung sein — dafür klangen ihre Worte viel zu unheilvoll. Taktvoll stellte ich keine weitere Frage, und Mutter riß den Sieg endgültig an sich. »Dann sind wir uns also einig, nicht wahr? Ich schreibe dir noch ausführlich.«
    »Vor einer Stunde rief Mutter an«, sagte ich, als Paul ins Haus kam.
    »Am hellen Vormittag? Muß ja ein Vermögen gekostet haben! Ist was passiert?«
    Es hatte keinen Sinn, ihm die Neuigkeit schonend beizubringen. »Paul, es ist schrecklich«, begann ich. »Mutter hat die Möglichkeit, mit Vater nach England und Amerika zu reisen, wenn wir Dawn aufnehmen. Für neun Monate. Was sollen wir bloß tun?«
    »Dawn?« Mein Göttergatte blickte mich verständnislos an. »Ist das die Kleine, die noch zur Schule ging, als wir heirateten? Ein zartes Dingelchen, wenn ich mich recht erinnere. Ich habe sie seit damals nicht mehr gesehen.«
    Ich ebenfalls nicht, zumindest nur flüchtig. Dawn ist sechs Jahre jünger als ich, und unsere letzte Begegnung fand anläßlich Felicitys Hochzeit statt. Damals war sie gerade siebzehn gewesen, ein verwöhntes, egozentrisches Ding. Sobald man mit Ansprüchen irgendwelcher Art an sie herantrat, schützte sie Kopfschmerzen vor und verkrümelte sich ins Bett. Alles in allem das denkbar ungeeignetste Geschöpf, um sich bei uns Hinterwäldlern wohl fühlen zu können. Sie selbst schien übrigens der gleichen Meinung zu sein, denn meine wiederholten Einladungen hatte sie
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