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iBoy

iBoy

Titel: iBoy
Autoren: Kevin Brooks
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Himmel jetzt nicht blau, sondern schwarz. Es war Nacht. Und es war nicht vor Wochen   … es war jetzt.
    Genau jetzt.
    Und ich fiel   … tiefer, tiefer, tiefer   … durch das stille Dunkel   … jagte dem Vergessen entgegen   …
    Und ich sah etwas am Boden unter mir.
    Ein Licht.
    Da unten war ein Licht.
    Direkt vor dem Eingang zum Hochhaus, dreißig Stockwerke tiefer, fuhr jemand mit dem Fahrrad über den Vorplatz. Und als ich mich weiter über die Dachkante beugte und hinunterblickte, sah ich, wie sich das Vorderlicht des Fahrrads langsam über den Boden bewegte, direkt unter mir   … und dann, ganz plötzlich, sah ich mich wieder fallen, doch diesmal war ich nicht das iPhone, sondern ich selbst   … ich war Tom Harvey, ich war iBoy   … ich war wir beide   … und wir stürzten vom Dach   … tiefer, tiefer, tiefer   … direkt auf das Licht des unbekannten Fahrradfahrers zu   … und wir wussten, dass wir auf ihn oder sie stürzen würden   … wir würden kopfüber aufprallen und unser iSchädel würde den Schädel des Fahrradfahrers einschlagen und sein Hirn würde zerfetzt werden von gesplitterten iSchädel-Resten und Teilen von uns   …
    Und als ich mich noch weiter vorbeugte und jetzt wirklich fast über die Kante stürzte, hörte ich mich lachen. Jedenfalls nahm ich an, dass ich es war, denn ich war der Einzige hier oben   … und es klang auch irgendwie nach mir   … und ich |294| spürte, wie sich meine Kehle bewegte, die Stimmbänder vibrierten   …
    Ja, das war eindeutig ich.
    Ich lachte   …
    Keine Ahnung, wieso.
    Und aus irgendeinem Grund machte mich das unglaublich traurig und im selben Moment lachte ich nicht mehr, sondern weinte   … schluchzte hemmungslos   … die Tränen flossen aus mir heraus wie bei einem verängstigten Kind.
    Ich wollte nicht sterben   …
    Aber ich wollte auch nicht leben   …
    Ich wusste einfach nicht weiter   …
    »Tom   …?«
    Die Stimme kam von hinten.
    Ich wartete einen Moment und versuchte, mich in den Griff zu kriegen, wischte mir die Tränen aus den Augen. Dann drehte ich mich um und blickte auf   … und da stand sie und starrte mit besorgtem Stirnrunzeln auf mich herab.
    »Hey, Luce«, sagte ich.
    »Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie sanft. »Also, toll siehst du nicht aus.«
    Ich schniefte, wischte mir noch mal die Augen trocken und lächelte sie an. »Ich bin okay   … ich hab nur, weißt du   … ich hab nur über einiges nachgedacht   …«
    »Ja, kann ich mir vorstellen«, sagte sie und setzte sich neben mich. »War alles ein bisschen viel, nicht?«
    »Das kannst du wohl sagen.«
    »Hab ich doch gerade.«
    Ich sah sie an.
    Sie lächelte. »Du hast Rotz im Gesicht   … warte mal.« Sie zog ein Taschentuch aus der Hose, leckte es an und wischte |295| mir dann den Rotz und die Tränen ab. Ich zuckte ein bisschen, als sie um die Wunde auf der Stirn herumrieb. »Entschuldigung«, sagte sie und schüttelte den Kopf. »Gott, siehst du aus.«
    »Du aber auch nicht so richtig toll«, sagte ich und schaute auf die Schnittwunden und Prellungen in ihrem Gesicht.
    »Danke fürs Kompliment.«
    »Gern geschehen.«
    »So«, sagte sie und wischte noch ein letztes Mal über mein Gesicht. »Schon besser.«
    »Danke.«
    Sie nickte, steckte das Taschentuch weg und schwieg ein paar Sekunden. Dann sagte sie, ohne mich anzusehen, mit vollkommen ruhiger Stimme: »Du hast doch nicht etwa daran gedacht, vom Dach zu springen?«
    »Was?«
    »Denn wenn   …« Sie sah mich an und ihre Augen funkelten auf einmal vor Zorn. »Hör zu, Tom Harvey. Ich weiß, du hast in der letzten Zeit eine Menge durchgemacht   … ich meine, wir beide haben   … Und ich weiß, dass du im Moment wahrscheinlich ziemlich durcheinander bist wegen diesem ganzen iBoy-Zeug, der ganzen Scheiße, die du in deinem Kopf hast, und all dem Mist, mit dem du klarkommen musstest   …« Sie machte eine Pause und schob ihr Gesicht bis auf einen Zentimeter an meines heran. »Aber wenn ich je mitkriege, dass du auch nur einen
Gedanken
daran verschwendest, dich umzubringen   … glaub mir, dann sorg ich dafür, dass es das Letzte ist, was du tust.«
    Wir starrten uns eine Weile an, und als sich Lucys Blick mit solcher Heftigkeit in meine Augen bohrte, dass es mir fast körperlich wehtat, wusste ich ehrlich nicht, ob ich vorgehabt |296| hatte zu springen oder nicht. Ich wusste auch nicht, ob ich hätte springen
können
oder nicht.
    Ich wusste es einfach nicht   …
    Das
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