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Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

Titel: Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
Autoren: Serhij Zhadan
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Ärzte der chirurgischen Abteilung, die während der Operation kleine Anglerglöckchen in die Haut einnähen, du kannst jetzt nicht mehr verlorengehen, auf keinen Fall verlorengehen in dieser Dunkelheit, in diesem Schnee, man wird dich immer anhand des Glöckchens finden, dasin deinen Körper eingenäht ist, in der Menge kann man dich immer identifizieren, wie still du dich auch verhältst, wie sehr du auch versuchst, dich hinter den Rücken deiner Nachbarn zu verstecken, hinter den Rücken deiner Nächsten, hinter den Rücken deiner Freunde, deiner Feinde, von denen jeder tief unter der Haut sein eigenes Anglerglöckchen trägt.
    Eine Freundin von mir war Zirkusartistin und hatte einen erwachsenen Sohn, Gustav. Über ihn hat sie mir folgende Geschichte erzählt. Gustav ging gern mit seiner Clique ins Stadion, alle wohnten in der Nähe des Traktorenwerks, das war es, was sie verband. Einmal legten sie sich nach einem Spiel, zu dem sie schon völlig strack gekommen waren, in der Schaschlikbude am Markt mit Kaukasiern an. Die Kaukasier waren in der Überzahl, die Kaukasier waren auch nüchterner, deshalb jagten sie Gustav und seine Freunde ein paar Straßen weit und kehrten dann zurück in die Schaschlikbude, um ihren Sieg zu feiern. Damit wäre die Geschichte eigentlich zu Ende gewesen, doch waren einem von Gustavs Freunden bei diesem Abenteuer zwei Rippen gebrochen worden. Die Clique fand, das könne man sich nicht bieten lassen und daß die Kaukasier nicht das Recht haben, einem einfachen slawischen Skinhead die Rippen zu brechen. Allein wollten sie nicht zu den Kaukasiern gehen, deshalb baten sie ein paar Ältere um Hilfe, ehemalige Sportler, die sich aus dem Sport zurückgezogen hatten und den Schutz der Märkte in der Nähe des Traktorenwerks übernommen hatten. Die Älteren fanden auch, daß man sich das nicht bieten lassen könne, sie mochten die Kaukasier nicht und baten sie immer ordentlich zur Kasse. Und das hier warso ein Fall. Also bildeten sie eine Delegation aus drei ehemaligen Sportlern, nahmen ein paar Skinheads mit und fuhren zur Schaschlikbude. Aber es lief nicht nach Plan – gerade an dem Tag feierten die Kaukasier ein religiöses oder vielleicht auch nationales Fest, die Schaschlikbude war voll von ihnen, und alle in Kampfeslaune. Die Delegation wurde wieder ein paar Straßen weit gejagt, womit die Kaukasier einen fatalen Fehler begingen. Die Sportler beriefen eine Versammlung ein, luden ihre Kalaschnikows und beschlossen, Rache zu nehmen. Ihnen folgten die Taxifahrer, die traditionell keine Kaukasier mochten, alle anderen übrigens auch nicht. Gustav und seine Freunde waren aufgeregt und aggressiv, ihr verwundeter Freund zeigte seinen verbundenen Oberkörper und erklärte, er sei Rassist. Sie setzten den Kaukasiern ein Date. Treffen wollten sie sich auf dem Parkplatz in der Nähe des Traktorenwerks. Dort wurde also das Date anberaumt. Die Kaukasier kamen im Jeep und holten zwei Kisten Kognak aus dem Kofferraum. Die Sportler kamen in gebügelten Trainingsanzügen und mit großen Sporttaschen, in denen die Kalaschnikows lagen. Die Taxifahrer schalteten den Funk aus, denn sie wollten nicht gestört werden. Gustav und seine Freunde hatten die Taschen voller Eisen und Stahl. Sogar die Oschwanz-Brüder kamen mit einem Popen. Die Verhandlungen begannen. Die Kaukasier bekannten ihre Schuld, redeten sich mit dem religiösen Feiertag heraus und mit ihrem heißen Blut, erklärten, sie hätten nicht gleich erkannt, mit wem sie es zu tun hatten und schlugen vor, sich als Zeichen der Versöhnung gemeinsam die Kanne zu geben. Den Sportlern gefiel das Verhalten der Kaukasier, im Prinzip, sagten sie, ist das gar kein so dreckiges Volk, diese Kaukasier, wozu das Ganze, morgen bitten wir sie sowieso wiederordentlich zur Kasse, Schuster bleib bei deinen Leisten, die Kleinen haben sich das selber eingebrockt, und wir Älteren sollen jetzt die ganze Scheiße auslöffeln, ganz unnötig, und sie scharten sich langsam um den Jeep, auf dessen Motorhaube der Kognak stand. Alles wäre gut ausgegangen, hätte der verwundete Skinhead nicht einen der Kaukasier beleidigt, der, ohne es zu wollen, seine kaputten Rippen berührt hatte. Der verwundete Skinhead konnte nicht an sich halten und beleidigte ihn. Der Kaukasier, der es offenbar nicht gewöhnt war, von Skinheads beleidigt zu werden, beleidigte ihn seinerseits. Das hörten die Oschwanz-Brüder, die danebenstanden, und ohne sich um den Hergang zu kümmern, schlugen sie den
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