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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht
Autoren: Sylvia Madsack
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aufgewachsen war? Sein Vater war ein Landjunker gewesen, der nie weit über die Grenzen Siebenbürgens hinausgekommen war, er hatte die Jagd geliebt und fröhliche, manchmal etwas derbe Feste, seine Mutter hingegen war im Umfeld des polnischen Königshofs groß geworden, wo man sich neben der Muttersprache auf Französisch unterhielt und sich in Künsten wie Musik und Literatur übte.
    Was für ein Kulturschock musste es für sie gewesen sein, aus dem gepflegten höfischen Milieu in diese wilde Gegend verpflanzt zu werden, die überwiegend bäuerlich geprägt war und in der es nur eine sehr dünne Oberschicht aus ortsansässigem Adel gab!
    Stanislaws Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück, ein Schild zeigte an, dass sie sich der rumänischen Grenze näherten. Mit einer Handbewegung weckte er Igor, der gähnte und sich streckte.
    Am neuen Grenzübergang Cenad, südlich von der Stadt Szeged gelegen, gab es jetzt, Ende Oktober, nicht viel zu tun. Die Touristensaison war vorbei und damit auch Staus mit längeren Wartezeiten. Der Grenzbeamte, ein älterer Mann, dessen verdrossener Miene man die vielen Dienstjahre ansah, blieb wie angewurzelt stehen, als sich der Wagen in Schrittgeschwindigkeit näherte.
    Er warf nur einen flüchtigen Blick auf das, was Stanislaw ihm als Pass hinhielt, verzichtete auf jede Gepäckkontrolle und interessierte sich ausschließlich für den »Mark II «. Der Zöllner umkreiste den Wagen mehrmals, strich mit glänzenden Augen ganz sachte über den Lack und stellte so viele Fragen zu Technik und Ausstattung, dass Stanislaw schließlich vorschlug: «Wollen Sie sich mal reinsetzen?«
    Der Mann starrte zuerst ihn an, dann den großen Wolfshund auf dem Rücksitz, der sich nicht muckste. »Nein, auf keinen Fall. Ich wollte ihn nur richtig anschauen … und berühren. Sie müssen das verstehen, ein solches Auto sieht man hier nicht mal in hundert Jahren. Sind Sie übrigens sicher …«, er betrachtete das spanische Kennzeichen. » … sind Sie sicher, dass Sie damit nach Rumänien reisen sollten? Wohin wollen Sie eigentlich genau?«
    Stanislaw lächelte gewinnend. »Nach Transsylvanien, wir wollen einen Ausflug in die Karpaten unternehmen, es soll dort landschaftlich sehr reizvoll sein. Ein Teil meiner Vorfahren stammt von dort.«
    »Ach so«, der Zöllner nickte. »Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: fahren Sie nach Bukarest, bringen Sie Ihren Wagen bei einer zuverlässigen Adresse unter und nehmen Sie für Ihren Ausflug ein Mietauto.« Erneut glitt seine Hand über das schimmernde Schwarz der Karosserie. »Es wäre schade …«
    »Ich habe gehört, dass man vorsichtig sein muss«, erwiderte Stanislaw stirnrunzelnd, »aber ist es dort wirklich so gefährlich?«
    »Noch viel gefährlicher, als Sie ahnen«, sagte der Beamte in düsterem Ton. »Von den Schlaglöchern ganz zu schweigen, solche Straßen haben Sie noch nie erlebt.«
    »Danke für die Warnung, ich werde entsprechend vorsorgen.« Er hob die Hand und fuhr los.
    »Gute Reise«, murmelte der Zöllner kopfschüttelnd und sah dem »Mark II« hinterher, bis der Wagen in einer Staubwolke verschwunden war.

Fünf
    Radu Nicolescu war nervös. Die Betriebsamkeit am Filmset konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wieder einmal nichts klappte.
    »Wo zum Teufel ist mein Hauptdarsteller?«, brüllte er, worauf sich ein paar seiner Mitarbeiter in Bewegung setzten und wie Schatten durch die abgedunkelte Kulisse huschten. »Bringt mir endlich diesen Hurensohn her, er kostet mich jeden Tag, an dem wir nicht pünktlich anfangen können, so viel Geld, wie ihr bestenfalls in einem Jahr hier verdient!«
    Nicolescu wusste, dass solche Äußerungen nicht motivationsfördernd wirkten, aber seine Geduld war zu Ende. Was er hier drehte, war kein B-Movie. Der Stoff war gut, das Drehbuch war gut, schließlich hatte er es selbst geschrieben, und der Hauptdarsteller war seit einiger Zeit
der
Star des sogenannten neuen rumänischen Films: Vadim.
    Vadim wurde von den weiblichen Fans angehimmelt, von den männlichen bewundert, von den Medien hofiert. Er saß in Talkshows, gab Interviews und hatte es sogar geschafft, der Liebling des Feuilletons zu werden.
    Maria, Nicolescus Regieassistentin, eilte mit einem Becher Kaffee in der Hand auf ihren Meister zu.
    »Danke«, knurrte er. »Also, wo ist er?«
    »In der Maske, er ist vor zwanzig Minuten angekommen.«
    »Hast du ihn daran erinnert, dass er diesmal zwei Stunden zu spät ist?« Er sprach in dem gefährlich
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