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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht
Autoren: Sylvia Madsack
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gelassen, »wusstest du das nicht?«
    »Nein, das hat Tante Ewa nicht erwähnt, es hieß lediglich, du seist eine Verwandte von ihm.«
    Beide schwiegen eine Weile. »Ich werde mir etwas für morgen überlegen«, sagte er schließlich.
    Nach ihrer Ankunft im Hotel fuhren sie gemeinsam im Lift nach oben. Tomas brachte sie zu ihrer Zimmertür. Joanna beugte sich vor und küsste ihn leicht auf die Wange. Er roch schwach nach einem Rasierwasser, das gut zu ihm passte.
    »Danke, Tomas, danke für alles.« Sie schloss die Tür auf. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Joanna.«

Vier
    Stanislaw konnte sich wie alle Angehörigen seiner Art nicht mit dem Flugzeug fortbewegen, weil keiner von ihnen es durch die elektronischen Sicherheitskontrollen geschafft hätte. Vampire besaßen nicht nur kein Spiegelbild, sie waren auch nicht mit einer Fotokamera oder im Film abzubilden, sie erschienen nirgendwo, nicht einmal als Schatten.
    Doch er genoss lange Autofahrten, und jetzt lagen seine Hände mit leichtem Druck auf dem Lenkrad des »Mark II «, der für ihn noch immer der schönste Jaguar aller Zeiten war. Zu schade, dachte er, dass er seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr gebaut wurde. Sein Bedauern darüber passte zu seiner nostalgischen Stimmung. Er wusste, dass der Ausdruck Nostalgie ein Synonym für Sehnsucht und Heimweh war, für Empfindungen, die mit der Vergangenheit zu tun hatten und besser verdrängt wurden, bevor sie zu sehr schmerzten.
    Jetzt, auf dem Weg dorthin, wo vor bald vierhundert Jahren alles begonnen hatte, konnten ihm die Dämonen von einst nichts mehr anhaben, denn er war nicht länger auf der Flucht vor ihnen. Er durfte diese Reise in die Vergangenheit wagen, weil er endlich in der Gegenwart gelandet war.
    Als er Daphne im Jahr zuvor in Zürich begegnet war, hatte er nach seinem rastlosen Umherirren zum ersten Mal innegehalten. Die Zeit hatte für ihn stillgestanden, verdichtet in dem überwältigenden Gefühl, geliebt zu werden und, viel wichtiger, zum ersten Mal selbst zu lieben. Seine Suche sei zu Ende, hatte er damals geglaubt, denn wer liebte, war angekommen, so schwierig diese Liebe auch sein mochte.
    Er hatte die junge Soloflötistin in seinem Club kennengelernt, eines Abends war sie mit dem Mailänder Dirigenten Maurizio Amado, einem alten Bekannten von ihm, dort erschienen. Stanislaw tauchte immer mehr in seine Erinnerungen ein. Die Bilder gewannen an Tiefenschärfe, wurden plastischer und farbiger, während sie im Zeitraffer vor ihm abliefen. Er sah Daphne und sich, wie sie in seiner Villa an der Zürcher Goldküste ihre erste gemeinsame Nacht verbrachten, eine Nacht der Wunder und Ekstasen, die sich für alle Zeiten in ihm eingebrannt hatte.
    An die späteren Geschehnisse in seinem Club dachte er lieber nicht so gerne. Wäre er nicht so unbeherrscht gewesen, hätte er sich und auch Daphne vieles ersparen können. Während eines Kostümfests hatte er einen weiblichen Gast im Dunkel des Flurs attackiert. Die Frau hatte den Angriff überlebt, ohne ihn zu erkennen, obwohl sie ein Stammgast war und zu seiner weiblichen Fangemeinde gehörte.
    Das Verbrechen hatte in den Zürcher Medien viel Aufsehen erregt, und obwohl er unter Verdacht geraten war, hatte man ihm nie etwas nachweisen können.
    Für Stanislaw war die Situation in Zürich immer bedrängender geworden. Daphne hatte den Verdacht, dass der, den sie liebte, ein Vampir sein könnte, immer wieder vor sich selbst verleugnet. Und als sie endlich der Wahrheit ins Auge sehen musste, hatte sie so reagiert, wie es nur jemand konnte, der bedingungslos der Liebe verfallen war.
    Sie war bereit gewesen, mit ihm fortzugehen, in eine ungewisse und für sie bedrohliche Zukunft, denn sie hätte nie wissen können, ob seine Vampirnatur nicht irgendwann stärker geworden wäre als die Skrupel, die ihn bis dahin zurückgehalten hatten. Erst als er erkannte, dass sie freiwillig zu jedem Opfer bereit war, willigte er ein. Alles war geplant für die gemeinsame Flucht, Daphne flog einen Tag voraus nach Malaga, von dort aus wollten sie sich irgendwo in Andalusien niederlassen.
    Im letzten Moment kam es anders. Am Abend, bevor Stanislaw ihr nach Malaga folgen wollte, war er noch einmal durch die Zürcher Altstadt geschlendert, hatte Gassen und Plätze aufgesucht, die ihm inzwischen vertraut waren, hatte Abschied nehmen wollen von dem Ort, der für ihn nicht nur ein Zuhause bedeutete, sondern längst Heimat geworden war. Und dann passierte das, was alles verändern
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