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Hymne an Die Nacht

Hymne an Die Nacht

Titel: Hymne an Die Nacht
Autoren: Sylvia Madsack
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Moment stand sein ganzer Körper in Flammen. Erneut stieß er einen Schrei aus, der nicht von dieser Welt zu sein schien, ein Schrei wie aus den Tiefen der Hölle. Mit einem gurgelnden Geräusch krümmte er sich zusammen. Seine Konturen lösten sich auf und verwandelten sich in ein rotglühendes Skelett, bis auch dieses Gebilde zu Asche zerfiel.
     
    Joanna, die das gespenstische Schauspiel wie versteinert verfolgt hatte, starrte auf die Asche, bis sie die Stimme ihres Vaters hinter sich hörte:
    »Bei einem älteren Vampir hätte es länger gedauert.«
    Langsam wandte sie sich um.
    Stanislaw stand ihr gegenüber, die Nachwirkungen des Kampfes waren ihm noch anzumerken. In seinen Augen spiegelten sich sehr unterschiedliche Empfindungen, doch etwas war unverkennbar: Er war stolz auf sie.
    »Vielleicht hätte ich ihn allein bezwungen, aber das wissen wir nicht«, sagte er leise. »Ich hatte dich ebenso wie Igor mit einem starken Bann belegt«, fuhr er fort, »denn ich wollte euch beide in diesen Kampf gegen Kyrill nicht hineinziehen. Und doch hast du es geschafft, dich aus dem Bann zu befreien. Du besitzt größere Kräfte, als du geahnt hast, Joanna! Vielleicht kannst du jetzt endlich diesen Teil deines Erbes akzeptieren.«
    Sie nickte ernst, während Stanislaw die Hand nach Igor ausstreckte. »Komm zu uns«, forderte er das Tier auf, das sich bisher nicht von der Stelle gerührt hatte. Sofort war der Wolfshund bei ihnen, doch diesmal tat er etwas Ungewöhnliches. Statt sich an die Seite seines Herrn zu gesellen, sprang er an Joanna hoch, legte ihr die Pfoten auf die Schultern und leckte mit seiner langen, rosafarbenen Zunge über ihr Gesicht.
    »Igor!«, tadelte ihn Stanislaw, doch er konnte sich ein Lächeln nicht ganz verkneifen.
    Behutsam nahm Joanna Igors Pfoten in ihre Hände, hielt sie einen Moment fest und tauschte einen tiefen, wissenden Blick mit ihm, bevor sie ihn losließ.
    Allmählich löste sich ihre Anspannung. Stanislaw legte Joanna eine Decke um die Schultern, während Igor mit verhaltenem Wedeln zu seinem Herrn aufsah.
    In dem Moment waren von draußen erneut Schritte zu hören. Joannas schmaler Körper zuckte zusammen, sie zog die Schultern hoch und sah sich nach einem Versteck um. »Wer kann das sein?«, flüsterte sie erschrocken. Stanislaw vollführte eine beschwichtigende Handbewegung, und auch Igor blieb ruhig neben ihm sitzen.
    »Guten Abend, Vadim.« In Stanislaws Stimme schwang große Gelassenheit mit, als die hochgewachsene Gestalt des Schauspielers auf der Schwelle erschien.
    »Graf Stanislaw, Gott sei Dank …«, sagte er, sein Atem ging schwer. »Was ist passiert?« Seine Augen schweiften durch den Raum, bis sie das Häufchen Asche in der Mitte entdeckten. Vadim wich zurück, Entsetzen stand ihm ins Gesicht geschrieben. »Ist es das, wonach es aussieht?«, flüsterte er.
    »Ja, das ist es.« Mit wenigen Worten schilderte Stanislaw, was geschehen war.
    Zögernd wandte sich Vadim zu Joanna, die ihm stumm entgegenstarrte. Er wollte auf sie zugehen, wurde aber von dem Ausdruck in ihren Augen zurückgehalten.
    »Wie hast du uns gefunden?«, murmelte sie.
    Vadim senkte den Kopf. »Wir haben alles getan, um dich zu finden, aber auch Cornel wusste trotz bester Beziehungen zum Hotelpersonal schließlich keinen Rat mehr. Denn niemand kannte euer Ziel, nachdem ihr abgereist wart.«
    »Also, wie denn dann?«
    »Ich weiß es selbst nicht so richtig«, erwiderte er mit spürbarer Verunsicherung, »ich weiß nur, dass ich eine Art Eingebung hatte, wo ihr sein könntet. Ich kenne mich in der Gegend gut aus und sah plötzlich ein Bild vor mir. Es gibt nicht so viele alte Burgen wie diese hier …«
    Joanna sah zu Stanislaw hinüber und begriff endlich. Bevor sie reagieren konnte, war ihr Vater bei ihr und nahm sie zärtlich bei den Schultern.
    »Glaubst du wirklich, ich hätte es ertragen können, dass mein einziges Kind, meine geliebte Tochter, in einem solchen Kummer versinkt? Ich gebe es zu, ich habe mich der alten Tricks bedient, um etwas genauer in die Seele von diesem Kerl hier«, er machte eine Kopfbewegung in Vadims Richtung, »hineinsehen zu können. Was ich da entdeckte, genügte mir, um zu einem Entschluss zu kommen. Er hat dich verzweifelt gesucht, und ohne etwas telepathische Unterstützung hätte er dich nie gefunden. Also habe ich dem Schicksal nachgeholfen … «
    Er trat einen Schritt zurück, und Vadim nahm Joannas tränennasses Gesicht in beide Hände und küsste mit halbgeöffneten
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