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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren!
Autoren: Henryk M. Broder
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fortzusetzen.
    Das Wunschdenken der Europäer entspringt ihrem Selbsterhaltungstrieb. Sie nehmen die Wirklichkeit wahr, schalten aber einen Filter dazwischen, einen Weichzeichner, was kurzfristig durchaus vernünftig ist, um nicht gleich von der Klippe springen zu müssen.
    Das Berliner Büro der »Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges« hat ein Papier veröffentlicht, in dem die Folgen eines amerikanischen Atomschlags gegen den Iran beschrieben werden: Mehr als zwei Millionen Menschen würden in den ersten 48 Stunden sterben, eine Million würde schwere Verletzungen erleiden. Zehn Millionen würden verstrahlt. Nur eine Frage wurde in dem Papier weder gestellt noch beantwortet: Was wären die Folgeschäden eines iranischen Atomschlages?
    Diese Frage will man sich nicht stellen, und das hat einen guten Grund: Weil niemand weiß, wie man einen iranischen Atomschlag verhindern, wie man überhaupt auf die Politik der Iraner Einfluss nehmen könnte, während im Falle der amerikanischen Regierung eine sehr kleine, aber doch reale Möglichkeit besteht, sie durch öffentlichen Druck in die eine oder andere Richtung bewegen zu können. Gegenüber demokratischen Regierungen hat man immer eine Chance, gegenüber Diktaturen hat man keine. Das wissen auch die Friedensfreunde, deren Demonstrationen sich gegen Amerikas Pläne, den Iran anzugreifen, richten und nicht gegen die Politik der Mullahs. Sie sind nicht auf einem Auge blind, wie ihnen oft vorgeworfen wird, im Gegenteil, sie haben einen klaren Blick auf das ganze Geschehen. Und sie freuen sich wie Kinder, die in einem Schokoladen-Ei eine Überraschung finden. »Friedenssignal aus Teheran«, jubelte die »Berliner Zeitung« Anfang Juni, als der Iran einen der vielen Kompromissvorschläge der EU nicht gleich abgewiesen, sondern erklärt hatte, man werde ihn »ernsthaft in Betracht ziehen«. In einer Situation, die aussichtslos ist, in der man nichts machen kann, bringt es Erleichterung, sich wenigstens etwas vorzumachen.
    Die deutsche Sektion der weltweiten Friedens-bewegung pax christi hat im Februar 2006 ein Positions-papier »zum Streit um die Mohammed-Karikaturen, zu dem drohenden Irankrieg und den Aufgaben von pax christi« veröffentlicht. Darin wird gleich zu Anfang die Frage gestellt: »Was hat der drohende Irakkrieg mit dem Karikaturenstreit zu tun?«, und so beantwortet: »Wer eine Deeskalation anstrebt, muss ebenfalls die Wechselwirkung der Konflikte betrachten, aber auch ihre unterschiedlichen Hintergründe, um zu erkennen, wo die Chancen zur Versachlichung, zum Brückenbau und zu friedlichen Lösungen liegen.« Im Klartext: Wer einen Krieg gegen den Iran vermeiden will, der darf die Mohammed-Karikaturen nicht hinnehmen.
    Das Pax-christi-Papier ist ein sehr schönes Beispiel für die Ratlosigkeit, die nach einem Ausweg aus der No-win-Lage sucht. Man wolle den »Konflikt um die Mohammed-Karikaturen ... versachlichen und Wege der Verständigung zwischen den Kulturen... eröffnen. Vorrangig wenden wir uns dabei an die Menschen und Institutionen unserer deutschen Gesellschaft. Wir wollen hier Einfluss nehmen und tun dies zunächst mit einer öffentlichen Positionierung« - was insofern sinnvoll aus, als pax christi keine Gelegenheit hat, sich in einem der Länder öffentlich zu positionieren, in denen dänische Fahnen nur zu dem Zweck hergestellt werden, damit man sie gleich nach dem Kauf verbrennen kann.
    Es steht nichts grundsätzlich Falsches in dem Papier (»Karikaturen sind mehrdeutig, ... das Regime im Iran nutzt die Konfrontation derzeit für seine Zwecke im Atomstreit...«), wenn man davon absieht, dass alle Versuche, einen »Dialog« zu inszenieren, immer in einer Selbstanklage enden: »Wie >zivilisiert< sind die Machtstrategien der westlichen Wirtschaft und Politik? Wie menschenwürdig ist der Krieg gegen den Terror? Wie gewaltfrei der Export der westlichen (Kommerz-)Kultur und ihr Dominanzanspruch weltweit? Wir haben keinen Grund zur Überheblichkeit. Politischer und interkultureller Dialog wird auch durch Glaubwürdigkeit und die Bereitschaft zur Selbstkritik gefördert.«
    Ein wenig frustrierend dabei ist nur, dass die Gegenseite keine Bereitschaft zur Selbstkritik zeigt und sich nicht einmal fragt, wie »menschenwürdig« der Terror ist, den sie praktiziert. So er überhaupt wahrgenommen wird, wird er klein geredet und als atypisch für den Islam abgehakt. Die Hand, die pax christi zur Verständigung ausstreckt,
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