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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren!
Autoren: Henryk M. Broder
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und Kanzlerkandidat der SPD, »Schnittmengen zwischen linker Politik und islamischer Religion« ausgemacht. In einem Interview mit dem »Neuen Deutschland« sagte er: »Der Islam setzt auf die Gemeinschaft, damit steht er im Widerspruch zum übersteigerten Individualismus, dessen Konzeption im Westen zu scheitern droht. Der zweite Berührungspunkt ist, dass der gläubige Moslem verpflichtet ist zu teilen. Die Linke will ebenso, dass der Stärkere dem Schwächeren hilft. Zum Dritten: Im Islam spielt das Zinsverbot noch eine Rolle, wie früher auch im Christentum. In einer Zeit, in der ganze Volkswirtschaften in die Krise stürzen, weil die Renditevorstellungen völlig absurd geworden sind, gibt es Grund für einen von der Linken zu führenden Dialog mit der islamisch geprägten Welt.«
    Lafontaine forderte den Westen zur Selbstkritik auf (»Wir müssen uns immer fragen, mit welchen Augen die Muslime uns sehen«) und äußerte Verständnis für die »Empörung« der Muslime: »Die Menschen in den islamischen Ländern haben viele Demütigungen erfahren -eine der letzten ist der Irakkrieg. Es geht um den Rohstoff- Imperialismus.«
    Lafontaine ließ bei seinen Schnittmengen-Betrachtungen einen wichtigen Punkt unbeachtet: Wie lange er es ohne seinen geliebten Sancerre aushalten würde, wenn es wirklich zu einer Vereinigung von linker Politik und islamischer Religion käme. Der Dialog, den er mit der islamisch geprägten Welt führen wollte, hätte bei Fruchtsaft und Mineralwasser stattfinden müssen.
    Dass ein überzeugter Sozialist mit dem Islam liebäugelt, ist nur auf den ersten Blick inkohärent. Denn es geht nicht um Inhalte - Sozialismus und Islam sind so kompatibel wie freie Liebe und Katholizismus - es geht um die Attitüde. Salonrevoluzzer, Weltveränderer und Utopisten waren immer für autoritäre und totalitäre Versuchungen anfällig. Man könnte Bücherschränke füllen mit den Berichten deutscher Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger und Egon Erwin Kisch, die in den zwanziger und dreißiger Jahren durch die Sowjetunion gereist sind und nur Gutes gesehen haben. Die Hymnen, die Stephan Hermlin, Anna Seghers, Kurt Bartheis, Erich Weinert und Johannes R. Becher auf Stalin geschrieben haben, mögen schlechte Lyrik sein, sie sind allerbeste Propaganda. »Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken/ in jeder Stadt steht Stalins Monument/ dort wird er sein/ wo sich die Reben ranken/ und dort in Kiel erkennt ihn ein Student...«
    Natürlich geht es auch eine Nummer kleiner. Franz Xaver Kroetz schaute sich wohlwollend in Nicaragua um, Hans Magnus Enzensberger in Kuba, Simone de Beau-voir war von Maos China sehr angetan. Doch wenn man wissen will, wozu ein kritischer Geist imstande ist, muss man Luise Rinsers »Nordkoreanisches Reisetagebuch« lesen, eine tiefe Verbeugung vor dem Diktator Kim Il Sung und seinem Regime. Westdeutsche Jungsozialisten und Friedensfreunde bekamen feuchte Augen vor Rührung, wenn sie von ihren Begegnungen mit »Rais« Arafat in seinem urgemütlichen Führer-Hauptquartier erzählten. Das »zentrale Problem der heutigen deutschen Intellektuellen«, schreibt der Islamologe Bassam Tibi, sind ihre »illiberalen Haltungen, die darauf abzielen, anderen zu verbieten, was sie sich selbst verboten haben, nämlich das freie Denken«.
    Und nun taucht eine neue Verführung am Horizont der Utopien auf: der Islam. Ein einfaches, überschaubares System, das dennoch die Lösung vieler Probleme anbietet. Zinsverbot statt Zinsknechtschaft, Gemeinschaft statt Individualismus, Teilen statt Abkassieren. Freilich: Wäre dem so, müsste Saudi-Arabien das soziale Paradies und nicht das reaktionärste System auf dem Globus sein.
    Aber das ist ja noch Osama Bin Laden, und der hat Sex-Appeal. Wie er da vor seiner Höhle sitzt und den USA mit sanfter Stimme den Krieg erklärt, wie er den Feinden des Islam mit Vernichtung droht und Anschläge ankündigt -irgendwie cool der Mann, eine Mischung aus Müntzer, Störtebeker und Che Guevara. Es gibt schon T-Shirts mit seinem Konterfei, bald wird es auch Osama-Teetassen und Kühlschrank-Magneten geben. Klar, er ist ein Killer, aber er hat auch Charisma. Und vor allem: Er ist der Gegenpol zu allem, was die westliche Zivilisation ausmacht, der Urschrei des Archaischen. Da gibt es keine Debatten und keine Diskurse, keine Mehrheiten und keine Minderheiten, keinen Vermittlungsausschuss und kein Misstrauensvotum. Sein Wort ist Gesetz. So würde Oskar Lafontaine auch gerne
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