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Hurra wir kapitulieren!

Hurra wir kapitulieren!

Titel: Hurra wir kapitulieren!
Autoren: Henryk M. Broder
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bei einer ai-Spenden-Gala in Szene setzen und ein Ende der Folter und des Mordens verlangen, aber es darf nichts gegen Folterknechte und Mörder unternommen werden, das würde nur den Frieden gefährden.
    Zadek ist das Kaninchen, das sich tot stellt, um von der Schlange nicht bemerkt zu werden. Aber irgendwann muss das Kaninchen mit der Wimper zucken, und dann schlägt die Schlange zu. Das Kaninchen spielt auf Zeit, so wie die Friedensfreunde auf Zeit spielen, indem sie nach Gründen für die »Verbitterung« der Terroristen suchen.
    Dabei spielt es keine Rolle, ob sich einer als 18 -jähriger vor deutschen Raketen ducken musste oder als 16 -jähriger Soldat wurde und noch bis zum bitteren Ende an den Endsieg glaubte, wie Günter Grass immer wieder bekennt. Grass hat auf dem PEN-Kongress in Berlin im Mai 2006 (»Schreiben in friedloser Welt«) eine flammende Rede gehalten, die zu einem guten Teil aus einer Verbeugung vor Harold Pinter bestand, der seinerseits in einer Nobelpreisrede vom Dezember 2005 sämtliche Verfehlungen, Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen der Amerikaner aufgelistet hatte, von Griechenland bis Chile, von Indonesien bis Haiti. Pinter rechnete mit den USA ab und Grass lobte ihn dafür: »Harold Pinter hat das Unrecht benannt. Beispielhaft hat er bewiesen, was > Schreiben in friedloser Zeit< bewirken kann.« Und die in Berlin versammelten »Silbenstecher, Lautverschieber, Wörtermacher und Nachredner unterdrückter Schreie«, wie Grass seine Kollegen bezeichnet hatte, dankten es ihm mit minutenlangen Ovationen.
    Grass war derart damit beschäftigt, Pinter zu preisen und die USA zu verdammen, dass er keinen Satz, kein einziges Wort über den iranischen Präsidenten Ahmadi-nedschad verlor, dessen Drohung, Israel von der Landkarte zu tilgen, ihm unmöglich entgangen sein konnte. Angesichts der von den USA in der Vergangenheit begangenen Sünden war das eine Petitesse, die er souverän beschwieg. Wieder einmal zeigte es sich, wozu ein Ausritt in die Geschichte gut ist: um retroaktives Engagement simulieren zu können und sich der Gegenwart nicht stellen zu müssen. Das schöne Gefühl, etwas unternommen zu haben, gibt es gratis dazu.
    Im Dienste der guten Sache darf man auch die eigenen Halluzinationen argumentativ einsetzen. Am 16 . Juni erschien in der »Welt kompakt« eine halbseitige Anzeige, unterzeichnet von Reinhard Mey und zwei Dutzend seiner Freunde, die die laufende Fußball-WM zum Anlass nahmen, auf ein sinistres Szenario aufmerksam zu machen.
    »Was wäre zum Beispiel, wenn ein echtes oder geheimdienstlich manipuliertes Attentat eine Panik im Lande auslösen würde? Doch was wäre, wenn dies gewollt wäre, um Deutschland im nächsten geplanten US-Krieg mit auf das große Kriegsschiff zu zwingen? Würden wir auf eine Inszenierung hereinfallen wie zu Beginn des Irak-Krieges?«
    Mey stellt Fragen über Fragen. Und die Antwort kennt ganz allein der Wind. Ja, so sind die Deutschen schon einmal auf das große Kriegsschiff gezwungen worden, 1939 beim Überfall auf den Sender Gleiwitz. Wäre Leichtmatrose Mey damals schon an Bord gewesen, wäre der Zweite Weltkrieg sicher verhindert worden. Oder auch nicht. Denn auch kurz vor dem Ausbruch des letzten Golfkrieges veröffentlichte Mey eine Anzeige gegen den Krieg, die ungehört verhallte.
    Diesmal will es der engagierte Liedermacher besser machen. Er begnügt sich nicht mit wilden Spekulationen wie aus einem Roman von John le Carre, er weist auf einen echten Fall aus der jüngsten Geschichte hin. »Fast die Hälfte der US-amerikanischen Bürger verlangt inzwischen eine neue Untersuchung zum II. September 2001 , weil die bisher gegebenen Erklärungen nicht stimmen. Der damit begründete Krieg in Afghanistan nimmt kein Ende und ist nun schon im sechsten Jahr.«
    Wie ein Krieg im sechsten Jahr sein kann, der mit einem Ereignis begründet wurde, das noch keine fünf Jahre her ist, bleibt des Liedermachers Geheimnis. Doch solche Differenzen im einstelligen Bereich kann man vernachlässigen, wenn es darum geht, noch größeres Unheil zu stoppen: »Nun steht bereits der nächste Krieg ins Haus. Er soll - wie in Wirtschaftskreisen zu hören ist -ein voller Atomkrieg werden: damit er nicht so teuer wird wie im Irak.«
    Meys mutiger Appell gegen den drohenden preiswerten Atomkrieg endet mit einem Wort des griechisch-katholischen Alt-Patriarchen von Jerusalem »im Exil«, Bischof Hilarion Capucci: »Wir sollten uns die Friedenshand zwischen Christen und
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