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Himmel über Tasmanien

Himmel über Tasmanien

Titel: Himmel über Tasmanien
Autoren: T McKinley
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England, Februar 1920
    D ie Wärme unter den weichen Daunen nahm zu, und Lulu Pearson warf sich unruhig hin und her, um ihr zu entkommen. Doch die erstickende Hitze legte sich immer schwerer auf sie, bedeckte ihre Augen, Nase und Mund. Sie wimmerte gequält, als ihr klar wurde, dass sie nicht die Kraft hatte, sie wegzuschieben. Ihr krankes Herz hämmerte, sie rang nach Atem und wusste, dass sie sterben würde.
    Der Druck wurde stärker, das Blut rauschte in ihren Ohren, die Angst verlieh ihr die Kraft, gegen dieses schreckliche Ding anzukämpfen. Sie schlug wild um sich und versuchte laut zu schreien, ihr Herz strengte sich an – seine dumpfen, peinigenden Schläge schwächten sie immer mehr.
    Sie hörte Stimmen. Nahm einen Lichtstrahl wahr. Und plötzlich war sie frei.
    Mit einem tiefen Atemzug sog sie saubere, lebensspendende Luft ein, bäumte sich im Bett auf und öffnete die Augen. Der Raum lag im Dunkeln, und sie war nicht in dem kleinen Haus in Tasmanien. Ihr Herz raste auch weiterhin, während sie bemüht war, gleichmäßig zu atmen und die schreckliche Angst einzudämmen, die dieser immer wiederkehrende Albtraum erzeugte.
    Sie war kein Kind mehr – sie war in Sicherheit.
    Niemand hätte vermutet, dass er schon fünfundsechzig war, denn er hatte einen festen Gang, war von kräftiger Statur, und der Stock war eher eine Angewohnheit als eine Hilfe. Er passte in die ländliche Gegend, und da er diese Rolle viele Jahre lang gespielt hatte, fühlte er sich in der Tweedjacke, denKnickerbockern und Wanderstiefeln wohl. Das war nicht immer so gewesen, denn im Grunde seines Herzens war er ein Stadtmensch, aber er war in die Rolle hineingewachsen wie ein guter Schauspieler, und diese jährlichen Besuche in Sussex machten ihm Spaß.
    Von den getüpfelten Schatten unter den Bäumen getarnt aß er sein letztes Sandwich und beobachtete die Reiterin, die in der Ferne langsam den Hügel hinab zur Pferdevermietung ritt. Sie war über eine Stunde fort gewesen, aber das Warten hatte ihm nichts ausgemacht. Das Wetter war mild, wenn auch ein wenig kühl, und er wurde großzügig bezahlt. Er steckte das Sandwich-Papier in den Leinenbeutel, streifte Krumen von seinem Schnurrbart und hob das Fernglas.
    Lulu Pearson war ihm vertraut, dennoch waren sie sich nie begegnet oder hatten je miteinander gesprochen, und wenn alles nach Plan lief, würde das auch nie passieren. Vor vielen Jahren hatte seine sporadische Überwachung begonnen, und im Lauf der Zeit hatte er sie von einem verspielten Kind zu der hübschen jungen Frau heranwachsen sehen, die sich jetzt mit geschmeidiger Anmut über den Stallhof bewegte. Das Haar war ihre krönende Pracht, für gewöhnlich fiel es fast bis zur Taille herab, in Locken, die in der Sonne golden und kastanienbraun funkelten, aber heute hatte sie es zu einem dicken Knoten im Nacken gebunden.
    Er erhob sich, als sie die Stallungen verließ und den langen, bergauf führenden Heimweg antrat. Die Leinentasche und das Fernglas baumelten an seiner Schulter, als er sich zurück ins Dorf und zu einem guten Bier begab.
    Die Nachwirkungen von Lulus Albtraum hatten sich auf ihrem leichten Ausritt verflüchtigt, und obwohl die Ankunft des eigenartigen Briefes am Morgen ihr inneres Gleichgewicht noch immer störte, war sie beschwingt. Nach den langenStunden in ihrem Atelier war es herrlich, an der frischen Luft zu sein, und jetzt war sie bestrebt, sich wieder an die Arbeit zu machen. Das Tonmodell war fast fertig, und sie wollte sicherstellen, dass sie Kraft und Bewegung richtig eingefangen hatte, bevor sie es der Gießerei übergab. Dennoch würde ihre Großtante Clarice sie zum Nachmittagstee zu Hause erwarten, und trotz ihres Arbeitseifers war der Gedanke an ein loderndes Feuer, Earl Grey und Teekuchen mit Butter verlockend.
    Sie schob alle Gedanken an Tasmanien und den rätselhaften Brief beiseite. Es war ein perfekter englischer Winternachmittag, die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel, Frost glitzerte in den Schatten unter den Bäumen, und die kalte Luft roch nach Schnee. An solchen Tagen war sie dankbar, dass sie nicht der Kurzhaarmode gefolgt war, und während sie langsam nach Hause stapfte, zog sie die Kämme und Nadeln aus ihrem Dutt und ließ die Haare über die Schultern den Rücken herabfallen.
    Clarice würde sich bestimmt wieder aufregen, weil sie so lange draußen gewesen war, doch ihr problematisches Herz schlug ziemlich gleichmäßig, und es war befreiend, nach dem Nebel und Lärm von
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