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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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Tisch auf einer Party verhält sich zu den Gästen wie der Strand zum Ozean: Du wirst angeschwemmt, Bierflaschen lagern sich ab, bilden wilde Muster, verschieben sich, wogen hin und her. Aschenbecher füllen sich, Asche wird aufgewirbelt wie Sand vom Wind. Im Hintergrund rauscht die Musik. Hypnose.
    Ich konnte an diesem Tisch sitzen bleiben wie ein Badender auf einem Handtuch, das Gesicht der Sonne zugedreht, gleichgültig den verrinnenden Stunden gegenüber. Von Zeit zu Zeit zogen Gesprächspartner vorbei wie ein kühler Luftzug, ich hielt die schwerfälligen Glieder in die Brise aus erfüllend unbedeutenden Unterhaltungen und schnelllebigen Witzen. Ich schmierte mir die Unterhaltungen auf den Körper wie Sonnencreme. Die Frage nach dem Nachhausegehen stellte sich nicht mehr, es war ein endloser Badetag am Meer. Staub legte sich auf die Zeit. Keine Fragen mehr. Keine Frage, wie lange du schon an solchen Tischen gesessen warst (in Summe). Vollkommen nebensächlich, ans Ende zu denken. Einfach so lange auf Urlaub bleiben, bis du nicht mehr wusstest, welcher Tag eigentlich war. Einfach das Gefühl absoluter Sorg- und Schwerelosigkeit, bewusstlos paddeltest du durch deine Nacht.
    Monate und Jahre waren nichts in diesen Momenten. Es gab nur unendlich währenden Spaß. Und wer brauchte schon Schlaf? Ein Drittel des Lebens verbrachtest du schlafend; was hinderte dich daran, auch den Rest zu versäumen? Ihn anzufüllen mit Daunen aus Zeitvertreib? Hannes hat einmal gesagt, der durchschnittliche Europäer lache nur zweimal am Tag. Man müsse um jeden Spaß froh sein. Und das war ich, am Strand, am Meer, hier am Tisch in der Küche, wo die Gläser angespült wurden, die Zigaretten sich zu kleinen Sandburgen anhäuften und wir uns gegenseitig anlachten, die Glieder starr, als lägen wir eingegraben im Sand und warteten auf die Flut.
    Das Geheimnis: Keine Gedanken verschwenden an den folgenden Tag. Driften, treiben. Beweg dich im Stillstand, gehe im Sitzen. Ergib dich dem Lauf der Dinge und genieß den Fahrtwind des endlosen Rückzugs. Die Taktik heißt verbrannte Erde, süße Kapitulation das Motto. Das ist sie: die ewige Glückseligkeit.
    Irgendwann brach die Stille über den Tisch herein, als wäre ich in der Sonne eingeschlafen. Jemand sagte etwas, es klang, als riefe man in eine Höhle hinein. Ein Lied, zurückgeworfen von einer schillernden, blauen Grotte, die singenden Gondolieri steuerten nur den Hall. Ich fragte, wie spät es sei. Ich rieb mir die Augen. Von irgendwoher kam die Antwort wie aus einer anderen Zeit. Es sei eigentlich egal, sagte jemand. Ich hob langsam den Kopf, betäubt. Vor mir stand noch immer ein Glas, irgendwann in der Vergangenheit hatte ich es dort abgestellt. Ich prostete der Stimme zu, ich sah nicht mehr nach, woher sie kam. Es war gleichgültig, es war ein guter Abend gewesen. Ein schöner Badetag, eine schöne Zeit am Meer.
    Als ich das Haus verließ, regnete es noch immer. Ich ging hinaus durch den Garten. Ich erinnere mich an die kleinen Punkte, die mich aus dem Dunkel anstarrten – Hannes’ Hunde. Seine heiligen Rottweiler. Ich bildete mir ein, sie knurren zu hören, die Augen glühten im Dunkeln wie Irrlichter. Ich versuchte, sie zu ignorieren, doch ich fühlte die Blicke in meinem Rücken. Ich stolperte unruhig durch den Garten, riss das Gartentor auf und knallte es erleichtert hinter mir zu. Als ich den Gehsteig erreichte, atmete ich Angst aus. Ich zog die Jacke enger um mich, hörte meinen Schritten auf dem nassen Asphalt zu und zog ab nach Hause.

    Unterwegs im Regen. Zeit für Romantik. Haha.
    Anna, immer wenn es regnet, muss ich an dich denken
, summe ich vor mich hin. Auch auf dem Heimweg dachte ich an dich. Ich öffne die Kiste mit der Erinnerung, wie du Hannes zu Füßen liegst. An diesem Abend ging ich allein nach Hause, doch ich stelle mir vor, dass auch du einsam einschliefst. War das nicht verschwendete Zeit? Auch für dich? Wäre es nicht besser gewesen, wenn wir gemeinsam … Doch jetzt ist die Chance verpasst. Jetzt liegt all das hinter uns. Und was bleibt übrig von diesem Abend? Was bleibt uns beiden? Was könnte ich dir heute noch von dieser Nacht zeigen?
    Versuchen wir etwas. Licht, Kamera, Action:
    Die Stadt liegt einsam da. Eine unbeschriebene, schwarze Tafel. Die Spuren eines Schwamms haben einige bleiche Wolken auf die Oberfläche gezeichnet. Ich torkle leicht, greife mir eine Kreide aus der Luft und zeichne Bilder in die leere Nacht. Sofort röhrt da neben mir ein
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