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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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Motor auf, ich lasse einen Sportwagen die Straße hinunterrasen. Er kommt ins Schlingern und explodiert schließlich in eine Wand hinein. Funken stieben auf. Die Mauer bleibt unberührt. Ich richte meinen Kreidestift auf die Szene. Lasse einen Busch Feuer fangen. Er taucht die Straße in prasselndes Licht. Ich bleibe stehen. Schaue in die Flammen, fahre dann mit dem Arm theatralisch über die Tafel und lösche. Die Nacht dunkelt sich wieder ein, und die Spuren meines Armes hinterlassen fahle Wolken am Himmel
.
    Großartig! Hervorragend! Welch phänomenal dramatisches Bild! Ein betrunkener Magier auf dem Nachhauseweg! Treten Sie näher, verlieren Sie sich in meiner Phantasie! Vor allem du, Anna. Hätte dir das gefallen, so ein Strohfeuer am Ende der Nacht?
    Nein, dir sicher nicht. Ein brennendes Auto löst bei dir vielleicht andere Erinnerungen aus. Denk zurück an deinen letzten Urlaub. Oder besser: Jenen Urlaub, der dir immer unvergesslich bleiben sollte. Was bleibt davon wirklich, außer einem vagen Gefühl, einer Schramme in deinem Inneren? Was hast du mitgenommen? Sieh her, Anna, dieses brennende Auto ist die Erinnerung, ein schlingerndes Vehikel. Es lässt bestenfalls Kratzer an unseren Wänden zurück.
    Was blieb von uns und diesem Abend? Was blieb von mir in deiner Erinnerung? Gibt es mich überhaupt noch, für dich? Bin ich überhaupt vorhanden, irgendwo in den Hinterzimmern deiner Erinnerung? Was sind die Schrammen, die ich in dir hinterlassen habe? Sind sie tief, markant, unauslöschlich? Was ist es, das von mir bleibt? Und was bleibt von dir?
    Großartig. Welch glamouröse Anhäufung von Fragen! Es tut mir leid, ich übertreibe schon wieder. Ich neige zum Pathos. Ich neige dazu, alles zu verklären. Aber hier doch noch eine kleine pathetische Wahrheit: In meiner Erinnerung bleibst du immer die Einzige. Ich hebe dich auf ein Podest und setze dir einen Kranz auf – geflochten aus Vergissmeinnicht.
    Und doch: Mittlerweile weiß ich, dass in meiner Erinnerung wohl nur eine wundervolle Statue von dir steht, die mit ihrem Vorbild nichts zu tun hat. Genau das schmälert den Wert meiner „Liebe“ zu dir. Ich muss sie jetzt unter Anführungszeichen setzen. Ich weiß nicht, was ich geliebt habe, und ich gebe zu: Ich wusste es auch damals nicht. Ich würde gerne behaupten, dass ich mich an jedes Detail an dir erinnere, dass du dich in mich für alle Ewigkeiten eingeschrieben hast. Doch die Wahrheit ist, dass du mir vollkommen entgleitest. Haben wir viel Zeit miteinander verbracht? Nein. Wir haben nur viel Zeit nebeneinander verbracht. Wir haben uns nur gestreift. Wir haben keine Spuren hinterlassen. Ich zwinge mich, mein Gedächtnis zu durchforsten. Ich zwinge mich, meine Erinnerung zu einem Ganzen zusammenzufügen. Doch auch von dir bleibt nicht mehr als ein diffuses Gefühl, dass du mir wichtig warst. Das ist wirklich nicht mehr viel. Mit anderen Worten: Du bist tief gefallen, innerhalb weniger Zeilen.
    Die Oberflächlichkeit dieser Erinnerung schockiert mich. Ich kann nicht bestimmen, warum du mir wichtig warst. Ich habe etwas gespürt, doch ich wusste nie, was mir wirklich naheging. Ich wusste nichts über dich. Du warst freigebig mit deinen Launen, aber sparsam mit Details über dich selbst. Du hast nie etwas erzählt. Sobald die Sprache auf dein Privatleben kam, bist du verstummt. Wobei ich zugeben muss: Die Sprache kam nie auf dein Privatleben. Und auch nie auf meines. Wir hätten uns ebenso gut beschnüffeln können, um etwas übereinander zu erfahren – wie Köter auf der Straße.
    Ich bin mir nicht sicher, ob wir uns jemals alleine getroffen haben? Aber wozu auch, dein Interesse galt jemand anderem. Ich sah dich niemals ohne ihn. Immer war Hannes in der Nähe, zumindest Freunde von Hannes, mit denen du auf Hannes wartetest. Wir beide waren immer Teile einer Gruppe, die sich um ihn scharte. Wir waren niemals für uns. Fast so, als wäre es gefährlich, für sich allein zu sein. Du hast ihn begleitet, wie man seinen eigenen Schatten begleitet. Du hattest einen Teil von dir an ihn verloren, der steckte nun in ihm. Um ganz zu bleiben, musstest du ihm folgen. Und das, obwohl er dich ignorierte. Er wusste nicht mehr über dich als ich. Aber das war für dich schon lange nicht mehr wichtig.
    Ich hingegen habe zumindest versucht, etwas über dich zu erfahren, auch wenn ich mich dafür auf vage Gerüchte verlassen musste. Ich hörte dafür auf Schüsse in die Nacht, die pfeifend an dir vorbeiflogen und deine
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