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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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Blick. Irgendetwas in mir schreckte jedoch vor diesem Blick zurück. Denn Hannes traf hier einen wunden Punkt.
    Anna, ja, Anna. Wenn du ins Zimmer kamst, wurde ich unruhig. Eine gewisse Anziehung will ich nicht abstreiten. (Das heißt, die Anziehung war groß.) Ich hätte die Einladung, die in Hannes’ Blick mitschwang, gerne angenommen. An diesem Abend, in jenem Moment, als du vor mir am Boden lagst, verspürte ich wirklich Versuchung. Ich hätte dich nur auflesen müssen wie einen Geldschein von der Straße. Hannes’ Grinsen bot mir dich als Geschenk an. Und ich gestehe: Ich habe zurückgegrinst; habe komplizenhaft gezwinkert. Und hättest du es gewollt, wir wären an diesem Abend zusammen eingeschlafen. Einfach aus einer betrunkenen Laune heraus. Doch dieses Zittern im Brustkorb, das hattest du für mich nicht übrig. Du lagst schon in den Armen eines anderen, als du noch auf dem Boden lagst. Ich stand einfach nur daneben.
    Trotzdem hat die Erinnerung an diesen Moment etwas Intimes. Denn die Erinnerung gehört nur mir. Du erinnerst dich nicht daran. Wir sind miteinander in meinem Kopf allein. Da ist niemand außer uns. Das ist etwas Kostbares, etwas unwiederbringlich Verlorenes, das ich in einem gut geschützten Versteck horte.
    Aber ich sollte es auch nicht überbewerten. Du kannst dich auch an andere Abende nicht erinnern, und trotzdem haben diese Abende keine Größe mehr. Nicht in meiner, nicht in irgendeiner Erinnerung. An diesen Abenden sind wir so weit voneinander entfernt, dass nicht einmal mehr der Schmerz der Trennung existieren kann. Schon der Gedanke daran ist unangenehm.
    Aber weiter im Text. Weiter mit dem Marionettentheater. Der Rahmen der Bühne ist mit kleinen, schweinsrosanen Putti verziert. Sie spielen dem Don Juan auf, zu seinem Triumphzug. Und er beeilt sich, seine Rolle auszufüllen. Also, Bühne frei für ein barockes Zwischenspiel:
    Verschwörerisch drehte sich Hannes zu mir und flüsterte mir etwas zu. Es klang eigenartig gespreizt, als spräche er eine Fremdsprache. „
Je dois t’avouer qu’un autre objet a chassé Anna de ma pensée
.“ (Gut, erwischt. Natürlich lege ich ihm diese Worte nachträglich in den Mund. Oder hätten Sie mir das abgenommen, James?) Erst den zweiten Satz verstand ich wirklich, er fragte, wo denn Bélisa sei. An diesem Abend suchte man sie fieberhaft. Trotzdem war sie leider gerade unpässlich. Ich antwortete Hannes also dementsprechend. Er kicherte, reckte heldenhaft die Brust wie der spanische Edelmann, den er so gerne spielte (oder besser: zu dem ich ihn mache). Don Hannes schritt zur Rettung des erbrechenden Fräuleins. Seine Bewegungen waren selbstverständlich. Als hätte er gerade seinerseits in der Nähe einen Geldschein erspäht. Weltmännisch marschierte er nun den Gang entlang, um ihn aufzulesen. Dafür statte ich ihn in meiner Erinnerung mit Kniebundhosen und einem überdimensionierten Gehstock aus, der rhythmisch die schwarzweißen Steinfliesen vor der Toilette anstößt. Er ist ein Sohn reicher Eltern. Nichts ist ihm unmöglich. Diese Sicherheit lag in jedem seiner Schritte.
    Hannes stieß die Tür zur Toilette auf, wie man einen schweren Brokatvorhang zurückwirft – mit theatralischer Lust an der Entblößung. Die offene Tür gab den Blick frei auf strahlende Keramik, die glitzernde Anmut einer Toilette, spiegelnde Flächen, goldene Rahmen. Und inmitten des Spiegelkabinetts: der sterbende Schwan. Trommelwirbel: Auftritt der leidenden Schönheit.
    Anmutig fallende Haarsträhnen, vollgesogen mit Toilettenwasser, einige Streifen Erbrochenes, die sich über das makellose Weiß des Porzellans zogen wie Fissuren durch Marmor. Hannes beugte sich hinunter zu Bélisa und half ihr auf die Beine. Madame bewegte sich am Arm ihres Retters zu einem schützenden Sofa.
    Hannes’ Unverfrorenheit hatte etwas Heldenhaftes. Er kannte kein Zögern wie ich, er kannte nur die absolute Pragmatik, er war direkt und schnörkellos. Das war es, was ihn zugleich abstoßend und bewundernswert machte. Er hatte die Veranlagung für den strahlenden Helden und für den geborenen Bösewicht. Und auch in der Art, wie er Bélisa zum Sofa führte, lagen sowohl kühle Berechnung als auch größte Zärtlichkeit. Er manövrierte sie auf die Kissen, er näherte sich ihr, sprach sie an. Genau so, wie man sich gerne mit Kindern unterhält, mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Einfühlsamkeit. Bélisa bewegte sich erschöpft, einerseits tapsig wie ein Neugeborenes,
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