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Hundestaffel

Hundestaffel

Titel: Hundestaffel
Autoren: Stefan Abermann
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andererseits mit einem Rest von Größe, den man mit der Grazie einer schlafenden Hofdame hätte verwechseln können. Hannes warf einen Arm um sie. In seiner Geste lag die Versuchung der Macht. Er erwartete keine Gegenwehr. Wer sein Opfer offen attackiert, fühlt sich unangreifbar. Der Jäger kniete sich neben dem angeschossenen Wild nieder.
    Das Schauspiel machte mich nervös. Ich nahm einen hastigen Schluck. In mir rührte sich die Unruhe des Zusehers. Ich war eingeschraubt in den Aussichtspunkt, wollte mich abwenden, musste aber ständig hinsehen. Ich hätte diesen Moment gerne mit einer Theateraufführung verwechselt. Bedenken wir dazu die folgenden Punkte: Was ist das Schöne an einem Theaterstück? Alles, was auf der Bühne passiert, ist weit entfernt. Und doch weist jede der Bewegungen auf der Bühne auf das Ende hin, auf das unausweichliche Finale, in dem die vielen Stränge sich in einem stramm geknüpften Knoten wiederfinden. Was ist das Lustvolle an einem Theaterstück? Wir wissen, was die Handlungen der Figuren auslösen werden. Das Hässliche am Leben: Wir wissen es nicht.
    Dieses barocke Moralstück, das sich in jenem Moment vor mir abspielte, war nun an seinem Wendepunkt angekommen. Hannes legte seine Hand auf Bélisas Schultern. Die Handbewegung im Zeitraffer, theatralisch verlangsamt: die Bewegungen der Finger kurz vor dem Aufschlag auf der gegnerischen Schulter, das Wiegen der Handfläche wie ein Paar Flügel vor der Landung. Und dann der Umschlag. Die Vergänglichkeit mischt sich wieder in die Handlung ein und schreit laut ein „Memento mori!“ über die Bühne, als die Zuschauer die überraschende Reaktion Bélisas verfolgen: Ihre flache Hand klatschte scheppernd wie ein Schimpfwort in Hannes’ Gesicht. Meine Lider schlugen zu, als wäre ich getroffen.
    Die Ohrfeige war vielsagend, wenn auch wahrscheinlich ungewollt. Nicht mehr als ein lallendes Tappen durch die Luft. Doch Hannes’ Hand zuckte zurück. In Bélisas Geste lag vielleicht kein Wille, dafür aber instinktive Ablehnung – und das traf Hannes härter als jede bewusste Entscheidung. Ohne Worte hatte Bélisa „Ich will nicht“ gesagt. Das angeschossene Wild schüttelte den Tod ab, rappelte sich auf und verschwand im Wald. Der Jäger blieb zurück, so überrascht, dass er nicht mehr reagieren konnte. Mit schamrotem Gesicht blieb Hannes auf der Lichtung zurück. Ich wandte mich ab und tat, als wäre nichts gewesen. Ich wollte nicht, dass er wusste, dass ich zugesehen hatte.
    Diese Ohrfeige könnte unbedeutend sein. Doch ich habe sie gesehen. Und ich habe den Ausdruck auf Hannes’ Gesicht gesehen. Den Zorn der enttäuschten Überheblichkeit. Den gekränkten Stolz des Jägers.
    Das Schöne an einem Theaterstück: Alles ist nur ein Spiel. Eine Handlung hat eine Wirkung, aber keine Auswirkung. Das Hässliche am Leben: Jede Handlung hat Folgen. Und doch gibt es entscheidende Momente, die wir nicht registrieren. Und so lachte ich nur nervös über die unabsichtliche Ohrfeige und maß ihr absichtlich keine Bedeutung bei. In jenem Moment wusste ich noch nicht, was diese Ohrfeige noch auslösen würde. Vielleicht wollte ich es auch einfach nicht wissen. Ich versuchte mich einzig auf das Geräusch zu konzentrieren, so als hätte ich nur das Klatschen gehört und nicht, was es ausgelöst hatte. So als wäre es nur das Ende einer kurzen Episode: ein Klatschen von Händen nach getaner Arbeit. Gehen wir also zum Alltag über. Das Licht im Theatersaal ist wieder an. Es war doch alles nur ein Spiel. Alles nur ein Blick in Nachtgeschichten.
    Ich hätte erkennen können, dass das Klatschen ein Startschuss war. In diesem Moment begann die Jagd. Ein Entschluss wurde gefasst. Und vielleicht wäre alles Weitere hier noch zu verhindern gewesen. Doch in diesem Moment begriff ich das nicht. Die Verfolgung war nun in vollem Gang, aber ich wendete mich ab. Hinter meinem Rücken verschwand der Jäger im Wald, immer noch auf der Pirsch. Mit suchendem Blick, außerhalb meines Blickfelds. Ich wollte einfach von all dem in diesem Moment nichts wissen.
    Ich hielt mich nur fester an meinem Glas fest und ging einen Raum weiter, in die Küche.
You’ll always find me in the kitchen at parties
. Ich fiel in einen Stuhl, ergab mich wieder dem Drehen in meinem Kopf. Das Wohnzimmer, das Klatschen, Hannes und Bélisa entfernten sich beständig, verloren sich in der Ferne. Ich legte den Kopf zurück, legte die Arme auf den Lehnen ab. Nie wieder wollte ich aufstehen.
    Ein
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