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0490 - Feuerschädel

0490 - Feuerschädel

Titel: 0490 - Feuerschädel
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Mit Roy Thurso flog eiskalter Wind in Keith Ulluquart’s Pub, der den späten Gast bis an den Tresen trieb. Thurso hob drei Finger, schüttelte sich dabei heftig und klopfte sich die Schneeflocken vom gefütterten Mantel. »Keith, solltest du deine Schnapsbude nicht lieber dicht machen? Rhu Mhôrven geht wieder um…«
    Das war übertrieben. Gespenster gingen um, Rhu Mhôrven aber war kein Gespenst. Allein in Cluanie Bridge gab es mindestens vier Menschen, die Stein und Bein schworen, Mhôrven mit eigener Hand berührt zu haben, und berühren kann man bekanntlich nur Menschen aus Fleisch und Blut, nicht aber Gespenster. Trotzdem hatte Mhôrven keinen guten Ruf in der Gegend. Einige sagten, er sei älter als der Laird op Llewellyn. Andere munkelten hinter vorgehaltener Hand, Mhôrven habe seine Seele dem Teufel verkauft. Fragte man ihn selbst, bekam man statt einer Antwort meist nur einen verachtungsvollen Blick aus tiefschwarzen, seltsam glühenden Augen und, wenn man Glück hatte, ein meckerndes Lachen. Aber hin und wieder sah man ihn in den Nachtnebeln, wie er alte, düstere Rituale vollzog. Wovon er lebte, wußte niemand, wo er wohnte, auch nicht. Er erschien und verschwand wieder, einem Gespenst durchaus nicht unähnlich. Manchmal machte er Einkäufe, manchmal kam er auch in den Pub, um etwas zu trinken, sich stundenlang in eine dunkle Ecke zu setzen und nichts anderes zu tun, als den prompt einfrierenden Gesprächen der Männer zu lauschen.
    Thurso entsann sich, daß einmal jemand versucht hatte, sich mit Mhôrven anzulegen. Dieser Jemand war schon ziemlich bis zur Oberkante Unterlippe abgefüllt gewesen mit bestem schwarzgebrannten Whisky, und Rhu Mhôrvens Anwesenheit hatte ihm nicht gefallen wollen. Später konnte niemand mehr so recht nachvollziehen, was dann wirklich geschehen war, aber der händelsüchtige Trunkenbold war plötzlich nicht mehr dagewesen. Am nächsten Morgen hatten sie ihn halb erfroren weit draußen vor dem Dorf gefunden, und niemand konnte sagen, wie er dorthin gekommen war, am wenisten er selbst. Rhu Mhôrven aber war längst wieder seine Wege gegangen.
    Und nun hatte Roy Thurso ihn auf dem Weg hierher gesehen!
    Gespräche verstummten. Sieben Männer, die an den Tischen saßen, redeten oder würfelten, hoben die Köpfe. »Schätze, ich muß gehen, sonst denkt meine Mary nachher wieder, ich hätte im Pup gesessen, gesoffen und gewürfelt«, brummte einer, schlurfte zur Theke und legte einen Geldschein hin. »Den Rest schreib mir gut, Keith«, schlug er vor. »Bin ja morgen wieder hier…«
    »Falls Rhu Mhôrven es nicht vorzieht, sich hier ein Zimmer zu nehmen, wie?« spottete ein anderer gutmütig.
    Keith Ulluquart, der Wirt, nickte. Er strich das Geld ein, ohne weiter nachzudenken - er hatte die Zeche des »Flüchtigen« im Kopf, verdrängte die Zahlen jetzt und ersetzte sie durch das »Restguthaben«, das dem Mann morgen zum Vertrinken zur Verfügung stand. Ulluquart brauchte keine Notizzettel und keine Kerbhölzer. Er hatte, was seinen Kneipenbetrieb anging, ein fantastisches Gedächtnis. Das ließ ihn nur dann im Stich, wenn die Jungs von der Finanzbehörde mal wieder hereinschauten. Ulluquart nannte es »Berufskrankheit«.
    Mittlerweile hatte er die drei per Fingerzeig bestellten Whiskys vor Thurso auf den Tresen gestellt. Nicht zwei Fingerbreiten hoch, sondern bis zum Eichstrich gefüllt. In Keith Ulluquart’s Pub sollte keiner verdursten, und weil der Whisky erstklassige Qualität aus eigener Destille war, konnte Ulluquart es sich leisten, großzügig einzuschenken. Schließlich hatte er seine Brennerei und das Lager im getarnten Keller nicht angemeldet und dachte demzufolge auch nicht daran, auch nur einen Tropfen davon zu versteuern.
    Berufskrankheit eben. Da ließ sich nun mal nicht viel machen, weil bisher noch kein Arzt ein Heilmittel dagegen entwickelt hatte.
    Bedächtig machte sich Thurso über das erste Glas her. Derweil flog die Tür auf und krachte wieder zu; der Mann vom Würfeltisch war gegangen und hatte eine eisige Brise und eine Wolke von Schneeflocken hereinwirbeln lassen. Draußen war es stürmisch und saukalt. Die Temperatur mußte bei zehn Grad unter Null liegen.
    Für einen Winter in den Highlands war das noch warm.
    »Wo hast du ihn denn gesehen, Thurso?« fragte ein älterer Mann, der sich nicht am Würfelspiel, sondern nur an der allgemeinen Unterhaltung beteiligt hatte. Vom Aussehen und vom Auftreten her paßte er nicht ganz in die rustikale Gesellschaft,
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