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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht
Autoren: Christoph Spielberg
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ausgediente Transporter von der Paketpost, von irgendwelchen Freunden zu Wohnwagen oder rollenden Imbißbuden umgebaut.

    »Wie weit, meint ihr, kommt ihr mit diesen Rostlauben?«

    »Hast du was Besseres?«

    »Laß mal überlegen.«

    So kam ich auf Herrn Sommer.

    »Wir sind auch an die Industrie wegen Spenden herangetreten, Pharmafirmen, Firmen für medizinische Geräte, unsere Zulieferer eben. Zu der Zeit hatte die Klinik gerade den Auftrag für eine Neuinstallation der Gasversorgung in der Chirurgie zu vergeben, neue Leitungen und Pumpen für Sauerstoff, Druckluft, Narkosegase und so weiter. Natürlich war das kein offizielles Junktim, aber die Firma Sommer, eine der führenden Firmen auf dem Gebiet in Deutschland, hat den Auftrag bekommen – und uns zwei ihrer Firmenlastwagen kostenlos überlassen. Dazu hat Herr Sommer noch eine komplette Trinkwasseraufbereitungsanlage für Kurdistan spendiert! Die haben wir diesmal allerdings nur zur Hälfte mitbekommen, der Rest wartet auf die nächste Fuhre.«

    Vielleicht war es mein Schmunzeln, jedenfalls fand es Kollege Waldeck an der Zeit, sich wieder in die Vernehmung einzuschalten.

    »Ein Menschenfreund, dieser Herr Sommer, was?«

    »Das weiß ich nicht. Jedenfalls ein guter Geschäftsmann. Darüber hinaus war ihm bekannt, daß die Klinik in naher Zukunft eine neue Abwasseraufbereitung braucht. So etwas macht seine Firma auch.«

    »Wer hat den anderen LKW gefahren?«

    Keine gute Frage, was mich persönlich betraf.

    »Ein Freund von Celine aus der ProAsyl-Gruppe.«

    Freund Heiner eben, den Celine zunehmend häufig als Autorität zitiert hatte, wenn wir verschiedener Meinung waren. Freund Heiner war spurlos im Irak verschwunden, nicht einmal ein Sarg bisher.

    Waldeck, dem bei dem Begriff »Asyl« oder »ProAsyl« jeweils ein leichtes Zucken der Unterlippe das Gesicht kurz entstellte, kehrte wieder den »bösen Bullen« heraus.

    »Dr. Hoffmann, Sie tischen uns hier die herzzerreißende Geschichte von den selbstlosen Helfern auf, die hier alles stehen und liegen lassen, ihren Beruf, ihre Freunde, nur um sich selbst mit ein paar LKWs auf den Weg quer durch Europa zu machen mit ein paar Sachen, die andere weit effizienter dort hätten hinbringen können. Meinen Sie, wir sind wirklich so einfältig, Ihnen dieses Märchen abzunehmen?«

    Einen Moment betrachtete ich die Welt durch die Augen von Herrn Waldeck: eine Welt, in der niemand seinen Urlaub als Krankenpfleger in den Slums von Kalkutta verbringt oder als Sozialhelfer in Lima, in der kein Ingenieur allein für ein Dankeschön Wasserleitungen in Afrika baut. Eine traurige Welt. War Waldeck mit dieser Weltsicht geboren? War sie Einstellungsvoraussetzung beim Bundesamt für Verfassungsschutz? Oder war dieser Defätismus erst mit dem Dienst für die BRD gekommen, handelte es sich um eine anerkannte Berufskrankheit? Auf jeden Fall hatte er nie Celine getroffen, nie ihre manchmal etwas naive, aber immer optimistische Hilfsbereitschaft erlebt.

    Dann sah ich mir seinen Kollegen genauer an. Seine Augen hatten etwas Abgeklärtes, mit einem Stich ins Bedauern. Ein netter Onkel, der abends den Nichten und Neffen Gute-Nacht-Geschichten vorliest. Bedeutete diese Abgeklärtheit, daß er alles Leid dieser Welt schon gesehen, alle Lügen schon gehört hatte, nichts ihn mehr erschüttern konnte? Würde er mich auch, mit dem gleichen Ausdruck ewigen Bedauerns, umbringen, wenn man es ihm befiele? Aber wahrscheinlich stellte ich mir die Arbeit beim Verfassungsschutz viel zu dramatisch vor. Diese Leute töten wahrscheinlich nur in Romanen oder im Film. In der Wirklichkeit wälzen sie, wenn sie nicht gerade einen Hochverdächtigen wie mich befragen, vorwiegend Akten, tippen mit ungeschickten Fingern Vernehmungsprotokolle in dreifacher Ausfertigung, legen »Vorgänge« an oder versuchen, ein paar Restauranttermine mit der Familie in die Spesenabrechnung einzuarbeiten.

    Waldeck wiederholte seine Frage, für wie naiv ich sie halte, mit einer solchen Geschichte zu kommen.

    »Was genau stört Sie an meinem Bericht?«

    »Herr Dr. Hoffmann, ich will Ihnen und Ihrer Freundin mal die gute Absicht unterstellen, wenigstens am Anfang. Kann ja sein. Aber auch wir vom Verfassungsschutz kennen uns ein wenig aus mit den Verhältnissen in Osteuropa und im Nahen Osten. Sie wollen uns doch nicht erzählen, daß Frau Bergkamp ohne ausgesprochen gute Kontakte zu den entsprechenden Kreisen dort Lastwagen voll mit wertvollen Medikamenten und
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