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Hundertundeine Nacht

Hundertundeine Nacht

Titel: Hundertundeine Nacht
Autoren: Christoph Spielberg
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konnte mich nicht wehren, keine Chance. Ich bin das Opfer!«

    Es mag ja stimmen, daß das Rauchen lebensverkürzend ist, aber in diesem Augenblick hat es mir das Leben gerettet – wieder öffnete sich die Tür, ein paar willensschwache Abhängige stolperten zu uns heraus in die Kälte. Und nie würde Celine unter Zeugen morden, dumm ist sie nicht.

    »Die letzte für dieses Jahr«, verkündete lallend ein aknepickeliger Teenager mit Flaumbart. Ich hatte ihn schon einmal gesehen, wußte indessen nicht, welchem oder welcher meiner Kollegen ich ihn zuordnen sollte. Aber Raucher sind gesellige Menschen, also zündete ich mir noch eine an.

    Die letzte bis zum nächsten Silvester, hoffte ich.

    Piep – piep – piep – piep – ich war noch nicht ganz damit durch, auch den mir zum großen Teil vollkommen fremden Angehörigen meiner Kollegen ein glückliches neues Jahr zu wünschen, als mein Notrufempfänger Alarm gab. Er zeigte die Station C4 als Auslöser des Alarms an. Meine Station. Schwester Käthe und Schwester Renate brauchten Hilfe. Unsere neuen Empfänger sind ziemlich schlau: Auf ihrem Display erscheint nicht nur die Station, sondern auch das Zimmer, in dem Hilfe gebraucht wird.

    Als ich es nach einem Spurt über das vereiste Klinikgelände leicht hustend in das Zimmer des Privatpatienten Winter geschafft hatte, sah ich Schwester Käthe voll in Aktion. Sie hatte Winter das Brett vom Kopfende unter den leblosen Körper geschoben, hockte mit gespreizten Beinen auf seinen Oberschenkeln und bearbeitete rhythmisch sein Brustbein. Fast hätte man es für ein etwas derbes Liebesspiel zwischen einer Krankenschwester kurz vor ihrer Pensionierung und einem richtig alten Mann halten können.

    Schnell war Winter intubiert, dann tauschten wir ohne ein Wort die Rollen, ich übernahm die Herzmassage, während sich Käthe um ein bißchen Luft für Winters schlaffe Lungenflügel kümmerte. Schwester Käthe und ich sind ein eingespieltes Team, wenn es um Wiederbelebung geht.

    Man kann natürlich fragen, ob es besonders sinnvoll ist, einen Zweiundachtzigjährigen zu reanimieren. Das muß man aber, wenn überhaupt, vorher. Käthe hatte schon begonnen und brauchte einfach Hilfe, die Dinge gewinnen dann eine Eigendynamik. Du kniest auf dem Toten, schuftest dich fast selbst zu Tode, aber es gibt nur eine Idee: Es muß klappen! Plötzlich ist es wirklich so, wie sich der Patient den Arzt immer vorstellt: Der Tod ist dein ganz persönlicher Feind. Du – Stoß – wirst – Stoß mir – Stoß – nicht – Stoß – abkratzen – Stoß – wäre – Stoß – ja Stoß – noch – Stoß – schöner – Stoß – nun – Stoß – mach – Stoß – endlich – Stoß – mit – Stoß – du – Stoß – Pfeife! Eine gut durchgeführte Herzmassage hat tatsächlich etwas von einem aggressiven Beischlaf, auch der Rhythmus ist ziemlich der gleiche. Und, unglaublich, wir hatten Erfolg! Nach endlosen zehn Minuten begann der gute Winter wieder selbst ein bißchen zu atmen. Käthe merkte es als erste.

    »Ich glaube, wir haben ihn.«

    Diskret und noch nicht ganz regelmäßig hob und senkte sich Winters Brustkorb.

    »Na, klar haben wir ihn, Käthe. Sie waren Spitze, wie immer. Außerdem, wir mußten Erfolg haben. Ich habe ihm noch den kommenden Frühling versprochen, als Minimum.«

    Ob sie besonders sinnvoll war oder nicht, eine erfolgreiche Wiederbelebung schafft eine tiefe Befriedigung unter den Beteiligten. Auch Schwester Käthe strahlte über ihr verschwitztes Gesicht.

    »Dann hoffe ich, daß es ein schöner Frühling wird dieses Jahr.«

    Es läßt sich ganz gut zu zweit reanimieren, aber mit einem Dritten geht es noch besser. Der kann zum Beispiel Medikamente anreichen oder telefonieren.

    »Wo ist eigentlich Renate?« fragte ich Käthe.

    Käthe hob die Schultern.

    »Keine Ahnung. Vorhin war sie noch hier.«

    »Dann müssen wir den Guten alleine für den Transport auf die Intensivstation fertig machen. Sie können schon mal drüben anrufen, daß wir bald kommen.«

    Daß hier etwas falschgelaufen war und Winter nicht wirklich eines natürlichen Todes gestorben wäre, fiel mir erst auf, als wir uns jetzt bemühten, unseren Erfolg wenigstens bis zum Erreichen der Intensivstation zu stabilisieren. Denn die Tatsache, daß Winter wieder selbst atmete, hieß noch lange nicht, daß er es in fünf Minuten auch noch tun würde. Sein Blutdruck war noch ziemlich im Keller, sein Puls flach und unregelmäßig. Vom Altbau C4, jetzt
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