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Hundejäger töten leise

Hundejäger töten leise

Titel: Hundejäger töten leise
Autoren: Stefan Wolf
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mich belästigst.“
    „Hah? Und was wäre dann?“
    „Wenn Tom meine Ehre
verteidigt, kannst du in deiner Disco als Frankenstein auftreten.“
    „Daß ich nicht lache! Das
Jüngelchen hat ja noch Eierschalen hinter den Ohren.“
    Aber es klang nicht sehr
überzeugt, wie er das sagte. Wußte doch jeder am Goethe-Gymnasium, wer
Engelbert Conradi, kurz Tom genannt, war: ein 16jähriger, bärenstarker Typ. In
seinem Karate-Club hieß er: Tom mit der eisernen Faust.
    Dem ekligen Tschilke schien das
jetzt einzufallen. Jedenfalls rutschte er wieder hinters Lenkrad, und die rote
Rakete schoß in verbotswidrigem Tempo die Landstraße entlang.
    Nicht zu fassen! dachte Locke.
Gleich klebt er am Baum. Wenn nun ein Heuwagen käme! Danny, der Widerling!
Rücksichtslosigkeit hält der für schick. Vielleicht ist er gedopt (mit
Drogen aufgeputscht). Ob das wohl stimmt, daß er hascht?
    An der Schule munkelte man, er
sei Dealer (Rauschgifthändler). Zuzutrauen war ihm das. Aber auf
Gerüchte gab Locke nichts. Anschuldigungen von diesem Gewicht mußten bewiesen
werden, sonst verbreiteten sich Vorurteil und Ungerechtigkeit wie eine Epidemie (Krankheitswelle).
    Der Porsche war nicht mehr zu
sehen. Weit voraus kreuzte ein strammer Hase die Straße. Meister Lampe
verschwand in einem Kohlfeld, und Locke gönnte ihm das. Überhaupt: Ginge es
nach ihr, würden für alle Tiere — ausgenommen Spinnen und Mücken — paradiesische
Zeiten anbrechen.
    Ein Heizöl-Tankwagen kam ihr
entgegen. Der Fahrer winkte. Locke schenkte ihm ein Lächeln, und der junge Mann
hupte, als wäre er von der Tarantel gebissen.
    Schlaglöcher rüttelten Locke
durch. Sie verminderte das Tempo. Außerdem rückte die Abzweigung näher.
    Wie an der Spitze eines
Tortenstücks mündete die Straße am Wald. Dort gabelte sie sich. Links ging es
nach Birkenrode und am Lurchensee vorbei, rechts in Richtung Pesseldorf, wo
auch die Tschilkes — allerdings außerhalb — ihr Anwesen hatten: das Gelände
eines ehemaligen Bauerngehöftes, hoch umzäunt, mit Hecken, Bretterzäunen und
Schilfmatten als Sichtblenden. Weshalb wohl? Hat der nicht was zu verbergen,
der sich so vor Beobachtung schützt?
    Der Tschilke-Hof lag am Ende
eines Zubringers. Unbefugte kamen deshalb nur selten vorbei. Dennoch wurde
immer wieder erzählt, wie erbärmlich Hunde dort winselten und Kälber blökten.
Gut behandelt wurden die Tiere bestimmt nicht, die durch Tschilkes Hände
gingen.
    Locke verdrängte den Gedanken
und schüttelte gleichzeitig einen grünschillernden Käfer ab, der sich an ihrem
Oberarm festgekrallt hatte.
    Sie näherte sich der
Abzweigung, sah in den Rückspiegel, minderte das Tempo und wollte schon
abbiegen, als sie das Fahrzeug bemerkte. Es parkte auf dem kleinen Sandplatz,
dicht am Waldrand und war eine Art Wohnmobil, rot und gelb lackiert und
flaschengrün beschriftet.
    GLORIA’S PUPPENTHEATER stand an
der Seitenfläche. Hinter dem Fenster hingen Spitzengardinen. Auf dem Dach saßen
drei Sperlinge — was sicherlich Zufall war. Der Wagen schien abgeschlossen und
niemand in der Nähe zu sein.
    Ein Puppentheater! Daß es sowas
noch gibt, dachte Locke.
    Sie rollerte auf den Parkplatz.
Die Spatzen flogen auf, tschilpten und überlegten sicherlich, ob sie sich auf
Lockes Hut niederlassen sollten. Aber das wurde dann doch als unergiebig
verworfen, denn was gab’s da schon zu picken?
    Locke reckte den Hals und
blickte durchs Fenster. Drin war es wohnlich. Auf einem Tisch lagen
Kasperlpuppen: der Kasper selbst, das Krokodil, ein Polizist und der Teufel.
    Von Gloria, der
Puppenspielerin, war nichts zu sehen. Locke dachte an ihre eigene Puppenbühne,
mit der sie früher ihre Freundinnen unterhalten hatte. Bühne und Figuren
verstaubten nun schon lange auf dem Speicher. Schade, eigentlich! Aber für
Märchen dieser Art fühlte sie sich mit fast 15 Jahren wirklich zu alt.
    Der Motor lief noch. Sie zurrte
das Band fest, das den Hut hielt, und rollerte weiter. Aber nur bis zum
Straßenrand. Denn dort kam die Frau.
    Was ist denn mit der los? Locke
war verblüfft. Himmel, sie weint. Und ihr Haar ist pitschnaß. War die im
Lurchensee?
    Die Frau lief, stolperte,
verlor jetzt eine Sandale, schluchzte und streifte auch den zweiten Schuh ab,
um schneller voranzukommen.
    „Hast du den Kerl gesehen?“
rief sie.
    Locke stellte ihren Motor ab.
    „Welchen Kerl?“
    Außer Atem machte die Frau bei
ihr halt.
    Sie sah aus wie eine
Zigeunerin, hatte aber hellblaue Augen, die jetzt von Tränen
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