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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy
Autoren: Stefan Schwarz
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eh, gleich, Mann!», röhrte Konrad dumpf vor sich hin und prügelte das Kissen unter seinem Kopf zurecht.
    «Ich mach das. Ohne Scheiß. Steh auf!», sagte ich.
    Konrad drehte sich auf den Bauch und schob seinen Hintern hoch. Ich ließ es als Aufstehen gelten und verschwand.
    Wenig später klappte die Badtür und wurde hörbar verriegelt. Warnakustik der jugendlichen Privatsphäre. Irgendwie freute mich zwar, dass mein Sohn ein Mann wurde, andererseits zerfraß es mich vor Neid. Ich wurde schon lange von allen Praktikantinnen auf eine Weise gegrüßt, als wäre ich kein Mann, sondern nur irgendwas Älteres, das sich als Mann verkleidet hat. War ja auch richtig. Ich war raus aus dem Paarungsgeschäft. Konrad hingegen – die Jeans auf den schmalen Hüften, die Haare fettig, die Zähne hinter Gittern – stand unbeholfen auf dem Schulhof rum, grinste, und die Mädchen zogen ihn auf, stichelten und stänkerten, aber sie kamen nicht von ihm los. Das nackte, biologische Interesse. Das noch einmal erleben und das von Frauen wissen, was man heute weiß. Halleluja.
    Ich stellte Konrad seine Frühstücksflocken hin, die er still in sich hineinschaufelte. «Vergiss dein Sportzeug nicht. Ihr habt heute Sport», sagte ich zu ihm, weil man in einer Familie nicht einfach so wortlos am Tisch herumsitzen darf.
    «Papa?», schredderte Konrad die Cornflakes in seinem Spangengebiss. «Wie geht Atmen?»
    Ich überlegte, ob ich Respekt einfordern sollte, was mir aber ein Zeichen von Schwäche schien. Also lieber dagegenhalten. «Einatmen, ausatmen. In der Reihenfolge. Halt dich dran und pass auf, dass kein Rauch aus irgendwelchen Tüten dazwischenkommt.»
    Konrad guckte mich über den Schüsselrand hinweg an und zeigte kurz mit dem Zeigefinger auf mich. Korrekt, Alter. Ich hatte trotzdem nicht gewonnen. Ich war nur ein lässiger Verlierer.
    Dann warf er sein Zeug über und verschwand, selbstverständlich türknallend. In der nächsten Sekunde kam Maschaaus dem Kinderzimmer geschnipst und taperte zottelig an mir vorbei ins Schlafgemach, um noch eine Prise Muttiduft zu nehmen.
     
    Ich zog mich an und ging Brötchen holen. Der Mond hatte es verträumt unterzugehen und stand als weißer Schemen am Himmel. Der Platz vor dem alten Gemüseladen war noch leer. Bald würden sich hier Männer mit fleckigen Jacken und braunen Bierflaschen zum Morgentrunk sammeln und die Welt blaffend und blökend der Inkompetenz zeihen. Ein Schattenkabinett aus Alkoholikern, die sich gegenseitig andauernd «Das kannst du vergessen, Alter!» empfahlen. Wenn man ihnen länger zuhörte, bekam man den Eindruck, dass man im Grunde alles vergessen könne. Nur nicht die Öffnungszeiten. Die Kaufhalle hatte nämlich noch nicht auf. Ich war zu früh.
    Dann sah ich ihn. Am Ende der Treppe, oben auf der gemauerten Umrandung des Eingangsbereichs, lag ein Mann in einer speckigen weinroten Steppjacke. Sein Arm war sonderbar ausgestreckt, als entbiete er der Morgensonne über sich einen Gruß. Die andere Hand hielt lose eine leere Wodkaflasche auf der Brust. Ansonsten tat er nichts. Ich trat näher. Die Art und Weise, wie er mit dem Rücken auf der steinernen Kante der Umrandung lag, den Oberkörper seltsam angehoben, die Beine steif und breit ausgestreckt auf den Platten, ließ ein Gefühl von kreatürlicher Verstörung in mir hochsteigen. «Hallo?», sprach ich ihn an. Der Mann lag steif da und reagierte nicht. Er war keiner der hiesigen Struppis. Etwas jünger vielleicht. Das letzte Mal vor zwei, drei Tagen rasiert. Ohne archäologische Vorkenntnisse erkennbarer Haarschnitt. Trockene oder schon wieder getrocknete Hose.«Hallooo?», fragte ich lauter. Der Mann sah zum Himmel, vor der Brust hielt er die geringelte Wodkaflasche wie einen kristallenen Schlüssel, der ihm den Transfer in eine andere Galaxie sichern sollte. Er verzog keine Miene. Ich habe ganz ordentliche Bauchmuskeln. Ich war früher gut in Klappmesser. Fast meine Paradedisziplin. Ich wusste, dass man in einer Position wie dieser nicht lange ohne Zittern aushalten kann, schon gar nicht mit einer Flasche Wodka intus. Es musste also etwas anderes vorliegen als Körperspannung. Ich sah mich um, aber da war niemand, dem ich den Casus überhelfen konnte. Der Mann war zwar nicht wirklich dreckig, aber anfassen wollte ich ihn doch nicht. Stattdessen hob ich den Fuß und stupste ihn leicht gegen den Schuh.
    Das war falsch.
    Der Mann kippte hintenüber und verschwand hinter der Umrandung. Ich hatte nicht den Eindruck,
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