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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy
Autoren: Stefan Schwarz
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Zirkusartistin. Miss Veronika war vor Jahren mit ihrer Taubendressur einmal kurzzeitig in die Lokalpresse gerauscht,als ein zur Ehefrauenbelustigung geplanter Auftritt während des Pastritzer Schützenfestes zeitlich mit dem Trap-Schießen koinzidierte. Seitdem konnte Miss Veronika nur noch mit einem extrem reduzierten Tauben-Ensemble auftreten, was sie und ihre Täubchen allerdings studiotauglich machte. Aber Petra hatte beim Rundklingeln tatsächlich niemanden ausgelassen. «Und Miss Veronika geht irgendwie nicht ans Telefon.» Die Liste der kurzfristig erreichbaren C-Promis war damit erschöpft.
    «Was ist mit Gorbatschow?», fragte Chef.
    Der neuen Praktikantin fiel der Unterkiefer runter. Aber Gorbatschow war nur der interne Spitzname von Atze Hollmann, dem Sieger über vierhundert Meter von 1956.   Ein ehemaliger Spitzensportler, dessen rote Wangen und abgezehrte Erscheinung sich nicht fortdauernder Verausgabung an frischer Luft, sondern einem Flachmann in seiner Brusttasche verdankten. Sein vollständiger Spitzname Wodka Gorbatschow war das Ergebnis eines kollektiv veranstalteten Riechversuchs gewesen, bei dem die halbe Redaktion unter allerlei Vorwänden in die Atemluft des Altstars eingedrungen war, um das Geheimnis seiner Spritmarke zu knacken. Atze Hollmann hatte sich das Alkoholproblem im Zuge seiner schon länger zurückliegenden Popularität erworben, hielt sich aber ausgesprochen gut und wirkte oberflächlich ansprechbar.
    «Sorry», sagte Petra, «das kann keiner mehr verantworten.»
    Chef wirkte allmählich leicht genervt. «Hat noch einer Vorschläge für die Promi-Schiene heute?»
    Schweigen.
    Erst hörte das Schweigen sich an wie ein ganz normalesRedaktionskonferenzschweigen, aber zwei Atemzüge später stand es schon als Ausdruck stummer Fassungslosigkeit im Raum. Was, wenn es überhaupt keine Prominenten mehr gab? Was, wenn wir den letzten Baum auf der Osterinsel gefällt hatten? Die Promis waren alle. Häuptling Hotu Chef Nui rieb sich gestresst das Gesicht. Dann hatte er eine Idee: «Wir müssen ein oder zwei Reserveprominente aufbauen, die wir bei Bedarf präsentieren können.» – «Reserveprominente?», fragte Petra kicksend, offenbar fürchtete sie, ihr könnte mit einem neuen Kompetenzfeld das Wasser abgegraben werden.
    «Reservepromis. Leute, die wir heimlich aufbauen, um sie als Prominente zu präsentieren. Leute, die eigentlich keine Promis sind.»
    «Noch weniger Promi als Miss Veronika geht doch gar nicht», murrte ich. «Da ist ja der Wachschutzmann vom Foyer interessanter.» 1
    «Darum geht es nicht», sagte Chef, «wer prominent ist, bestimmen wir. Wir treffen eine stillschweigende Prominenten-Vereinbarung mit Leuten, die verfügbar sind undbei Bedarf ins Studio geholt werden können.» Chef boxte in seine Faust. Das hatte er in irgendeinem Film gesehen, aber wie die meisten seiner Gesten und Mienen wirkte auch diese seltsam verirrt. Dann schnipste er aus seiner Faust den Zeigefinger heraus und wies auf mich. «Der Mann mit den tollen Sprüchen kann sich mal was einfallen lassen. Bis nächste Woche. Heute senden wir die Wiederholung mit Dickie Garré. Der spricht so schnell, das kann man sich ruhig nochmal anhören. Das wär’s fürs Erste.»
    Die Tischordnung löste sich erleichtert auf, und ich, genervt von der Aussicht auf eine äußerst unerquickliche Suche nach lagerfähigen Pseudoprominenten, packte mein Zeug zusammen und ging ins Großraumbüro.
     
    Das Büro war leer bis auf Norbert Kruschik, ein alt gewordenes Jungchen Anfang dreißig, mit Aknespuren im Gesicht und der matten Gestik einer von andauernder Unzufriedenheit mittlerweile körperlich geschwächten Ehefrau. Kruschik war unlängst von Chef im Zuge seines Vorhabens, sich mit konturlosen Lakaien und Armleuchtern zu umgeben, zum Verantwortlichen für die Rubrik
Service
befördert worden und damit der Mann der Stunde, denn Service war in aller Munde. Die panische Angst, dass der Kapitalismus ihnen wichtige Informationen vorenthielt, um sie über unqualifizierte Kaufentscheidungen in den Ruin zu treiben, saß tief in der Seele der ostdeutschen Menschen. Ratgeber versprachen Abhilfe, die Quoten waren bizarr gut. Kruschik brachte diese flüchtige Erscheinung des Zeitgeistes unverständlicherweise mit seiner eigenen Person in Zusammenhang. Mit ihm zu sprechen war unergiebig, es sei denn, man war entschlossen, die Geschirrspülermarke zu wechseln.
    Doch jetzt betrat Nergez den Raum. Nergez war eine scharfnasige,
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