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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy
Autoren: Stefan Schwarz
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hatte kleine Brüste und ein Becken, das sich anschickte, auf sehr orientalische Weise ausladend zu werden. Ihr Körper steckte noch in Anatolien. Und sie hasste es. Sie löffelte ein bisschen Joghurt. «Du stellst dir vor, dass du mich von hinten nimmst.»
    «Nergez, das ist die totale Mackersprache. Du musst das Milieu wechseln. Geh mal in die Oper. Außerdem bist du einen halben Kopf größer. Glaubst du, dass mich die Vorstellung, wie ich mir einen kleinen Hocker hinstelle, irgendwie erregt?»
    «Sag es mir doch. Bitte! Du musst es mir sagen. Wir sind beide in der Gewerkschaft.»
    «Na gut. Wir liegen so rum. Knutschen und so. Liebe machen. Das ist alles.»
    «Nicht knebeln und fesseln?»
    «Nein. Dafür bist du nicht der Typ.»
    «Ha, das ist ja interessant. Deine sexuellen Phantasien wechseln mit dem Objekt deiner Begierde. Für jede Maid ein eigenes Kleid. Kannst du dir mich nicht hilflos vorstellen?»
    Nergez schob sich den Apfel fast komplett in den Mund und machte ein so schockierend echtes hilfloses Geräusch, dass von den Nebentischen verwirrt herübergeschaut wurde. Eine türkische Exhibitionistin.
    «Nein, aber das ist doch völlig klar. Du kommst aus einer restriktiven Kultur. Du bist schon gefesselt. Nackicht und entspannt miteinander rumhängen ist doch der viel schärfere Kontrast.»
    «Das ist sooo klug, Schätzchen. Du bist ein verdammter Nazi. Kommst du zu meiner Party?»
    «Mal sehen.»
    Natürlich würde ich nicht zur Party gehen. Es war schön, mit Nergez über Sex zu reden. Es war die perfekte Art, miteinander Sex zu haben. Es war so   … rückstandsfrei. Unnötig zu sagen, dass man um ein Vielfaches länger über Sex reden kann als ihn praktizieren. In mancherlei Hinsicht ist ja die Zunge potenter als der Schwanz. Und was Nergez betraf, sollte es auch besser dabei bleiben.
    Denn wenn es jemals dazu kommen sollte, dass ich der Letzte auf ihrer Party wäre, und es war dies so sicher wie nichts sonst, dann würde in einem fahlen, sofalümmelnden Morgengrauen ihr überdrehtes Lachen mit einem Mal zu Boden fallen. Dann würden wir es tun, und es wäre vorbei. Ich würde nie wieder hören, wie Nergez, die Arme weit ausgebreitet, durch das Büro ruft: «Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich schwitze beim Sex! Ich schwitze wie verrückt. Ich schwitze sofort. Es ist noch gar nichts passiert, da schwitze ich schon. Oh, ich schäme mich so dafür.» Ich würde es wissen, aber ich würde es nie wieder hören.

3
    Chefs Büro lag auf der Mitte des Flurs. Raumstrategisch beziehungsweise wehrgeografisch ein Punkt der Beherrschung. Alle mussten dran vorbei. Chef kontrollierte Kommunikation und Verbindungswege. Hatte Einsicht ins Kommen und Gehen. Wenn es ihm beliebte, konnte er jedenabfangen. So wie mich jetzt. Er lauerte mir auf in einer Pose äußerst gekünstelter Beiläufigkeit. «Ach, da ich dich gerade sehe. Komm doch mal kurz rein. Hast du gegen zehn nach eins Zeit?»
    «Wassen?»
    «Wir müssen mal was bereden.»
    «Isses was Wichtiges?»
    «Wirste dann schon sehen.»
    Ich kannte Chef. Das konnte nichts Gutes sein. Wenn er sich unerheblich gab, dann nur um Delinquenten stunden- oder tagelang im Schrecken nicht konkretisierter Vorwürfe schmoren zu lassen. Ohne Informationen. Außerstande, Rechtfertigungen vorzubereiten. Das war eine stalinistische Zermürbungstaktik. Stalin war als mein Redaktionsleiter wiedergeboren worden. Vom Standpunkt des Karmas war das nicht unbedingt vorhersehbar. Oder ging es Würmern und anderen Karma-Mieslingen dann doch noch vergleichsweise prächtig? Lebte Chef als Stalins Wiedergänger auf diesem unscheinbaren Posten im Nachmittagsprogramm eines Lokalfunks im innersten Zirkel der Hölle? Wenn man gewisse Ambitionen hat   … schon möglich.
     
    Zehn nach eins sah ich schon von weitem Kruschik vor Chefs Zimmer. Er stand mit Siegrun Wedemeyer zusammen. Sie standen da, wechselten knappe Sätze und schwiegen wieder länger, musterten das Teppichmuster und seufzten nickend. Der ewig scheiternde Smalltalk der Gehemmten. Siegrun Wedemeyer trug eine pflegeleichte Schüttelfrisur, deren Pflegeleichtigkeit auf eine vollkommen erwartungsfreie Form der Selbstbewirtschaftung schließen ließ. Sie hielt ihren Leib mit einem naturmodischen Wollponchobedeckt, als handle es sich um Schüttgut. Eine Frau irgendwie immer schon überschrittenen Alters und unbestimmbarer Herkunft, die ebenso FD J-Schulungsheimen wie katholischen Mädchenpensionaten entwichen sein konnte. Ein
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