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Hüftkreisen mit Nancy

Hüftkreisen mit Nancy

Titel: Hüftkreisen mit Nancy
Autoren: Stefan Schwarz
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fragte: «Was ist verschieden, Mama?»
    «Na, so verschieden. Du kennst doch auch verschiedene Leute. Und dieser Mann war eben von uns verschieden, wollte Papa sagen.»
    Ich nickte.

2
    Der tote Mann, der mir am Morgen versehentlich runtergefallen war, machte mir den ganzen Weg zur Arbeit zu schaffen. Ich übersah Vorfahrten, und bei fast jedem Ampelgrün wurde ich ungeduldig angehupt. Ich werde nicht gern an den Tod erinnert. Ich habe fürchterliche Angst vor dem Tod. Schon immer. Mein Vater sagt, das sei ein Zeichen dafür, dass ich noch nichts Sinnvolles geschafft habe. Was genau ich zu schaffen habe, konnte er mir aber auch nicht sagen. Ich würde es aber daran merken, dass der Tod seinen Schrecken verliert. Dann faltete er die Hände vor dem Bauch und nickte ein in seinem Sessel. Er ist schon sehr alt und fürchtet sich vor nichts mehr. Er hat alles geschafft, und es hat ihn geschafft.
    Wenn man als Journalist in der Nachmittagssendung eines Lokalsenders arbeitet, beschäftigt man sich eigentlich den ganzen Tag mit Kleinkram. Mit aufregendem Kleinkram immerhin, deswegen merkt man es nicht so. Aber eheman sich’s versieht, sind zehn Jahre um, und man hat wieder nichts geschafft.
    Heute würde es nicht anders sein. Als ich kurz vor zehn in die Redaktion kam, war schon alles im Konferenzraum. Gemurmel und Gezische. In dessen Mittelpunkt Petra, die hysterisch herumfuchtelte und ständig «nix, nada, niente» wehklagte. Petra war eine untersetzte Frau Anfang vierzig mit hydrantenrotem Haar und einer kuriosen Schwäche für zu enge Kleider. Eine aus dem Leim gegangene Pippi Langstrumpf. Die Haarfarbe war kein Unfall, sie sollte zeigen, dass Petra sich weniger zum hiesigen Landfunk als zum Internationalen Showbiz zählte. Petra kümmerte sich um die Schlagersänger und Serienschauspieler, um die Visagisten und Weltreisenden, die sogenannten Prominenten, die allnachmittäglich auf der Couch im Studio Platz nahmen. Obschon die Prominenzbehauptung bisweilen mühsam von der Karteikarte abgelesen werden musste («Viele Zuschauer kennen Hans-Peter Bösewetter als   … na, was heißt das hier?   … als Rudi, den lustigen Postbeamten, aus der Serie ‹Tierarztpraxis Pfötchen›»   …), rutschten die «Promis» aufgekratzt und auskunftsfreudig auf der Couch hin und her und gaben Ferienerlebnisse aus Kroatien («ein wundervolles Land») und Eindrücke der letzten Autohauseröffnung in Brummsack an der Daller zum Besten («ein wundervolles Publikum»). Draußen im Land saßen die Rentner vor dem Fernseher und behaupteten, Hans-Peter Bösewetter sei «aber alt geworden» oder hätte ihnen «ohne Bart besser gefallen», was freilich auf einer Verwechslung mit Hans-Joachim Kulenkampff beruhte, dessen Ableben vor rund einem Jahrzehnt ihnen entgangen war. Aber diesmal war es Essig mit den Prominenten.
    Chef kam wie immer exakt auf die Minute – wahrscheinlich ging er schon ewig im Büro auf und ab, bis der Zehn-Sekunden-Countdown für die paar Meter übern Korridor angezeigt wurde – und fläzte sich an die Stirnseite des langen Konferenztisches. «Der eine oder andere hat es schon per Flurfunk mitbekommen. Houston, wir haben ein Problem!», sagte Chef in seiner bedrückend leutseligen Art. «Es geht um die Promi-Schiene für heute. Petra?»
    Petra rang kurz um Fassung. «Es ist so. Eigentlich sollte Susan Krüger heute kommen.» In der Runde fragende Gesichter. «Susan Krüger war mal die Partnerin von Gunnar Gunnarsson.» Das Rätselraten nahm kein Ende. «Hat sich dann aber für eine Solokarriere entschieden, und jetzt ist ihre erste Platte rausgekommen.» Niemand wollte Näheres wissen. «Gestern Abend hat mir Susan Krüger abgesagt. Wegen Halsentzündung. Ich hab dann Dickie Garré angeklingelt, den Wortakrobaten, der zwar jetzt nicht direkt was Neues hat, aber vor zwei Monaten hier getourt ist.» Juliane, die Moderatorin, presste die Lippen aufeinander. Offenbar hatte sie im Studio schon mehrmals Proben seiner Wortakrobatik ertragen müssen. «War aber Fehlanzeige. Dickie ist auf Malle. Ist ja auch klar: Saison. Dann hab ich Peter, den Visagisten, gefragt.»
    «War der nicht erst letzte Woche da?», fragte jemand.
    «Ja, weiß ich selbst. Aber der heiratet seinen Freund. Und Slavko Korjevich, der auf der Freilichtbühne Fregel den Aladin spielt, musste wegen ‹Todesfall in Familie› nach Hause.» Jetzt blieb eigentlich nur noch Miss Veronika, eine schon sehr betagte, hagere und zudem herausfordernd wortkarge
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