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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz
Autoren: Oliver Buslau
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nicht.«
    Mich überwältigte eine Empfindung, die neu für mich war. Es war ein Gefühl von Aufbegehren, von Entrüstung, ja: Empörung.
    »Kein Mensch?«, sagte ich. »Aber ich habe in den Büchern Menschen gesehen. Sie sehen aus wie ich. Das heißt … nicht ganz.«
    »Du bist ein Automat, Olympia. Vielleicht sollte ich dir das nicht sagen, aber es ist die Wahrheit. Alles, was dich am Leben hält, ist dein Herz. Dein rotes, glühendes Herz. Aber glaub mir. Dieses Herz ist es, das dich mehr zum Menschen macht als viele andere wirkliche Menschen. Es ist … etwas Wertvolles … etwas Gutes …«
    Das verstand ich nicht. Wie konnte ich kein Mensch sein und trotzdem etwas besitzen, was mich mehr zum Menschen machte, als es manche Menschen waren?
    »Was soll das heißen?«, fragte ich. »Bitte …«
    »Nein, Olympia …« Seine Stimme wurde schwächer. Seine Gestalt schien sich weiter aufzulösen. »Irgendetwas hat mich gerufen. Ich weiß nicht, was es war … ein Klang, eine Musik … Vielleicht hatte mein Erscheinen auch den Sinn, dass ich dich warnen soll. Vor deinen Feinden, die überall auf dich lauern. Oder du bist … nur ein Traum.« Für einen Moment schien ihn dieser Gedanke zu beschäftigen. Dann sah er mich fest an. »Nimm dich in Acht, Olympia. Dann wirst du leben. Aber ich werde … sterben.«
    Mit diesem letzten Wort löste er sich noch weiter auf. Und ein paar Herzschläge lang wusste ich nicht, ob mir meine Augen einen Streich spielten. Ich glaubte, seine Silhouette noch in der dämmrigen Stube zu sehen, aber die Konturen waren verschwunden. Neben mir auf dem Boden glänzte etwas matt. Es war der eigenartige Mechanismus, an dem ich gedreht hatte. Der die silbrigen Klänge von sich gab.
    Da kam mir eine Erkenntnis.
    Der Mechanismus hatte den Mann erscheinen lassen!
    Ich war ganz sicher.
    Ich bückte mich und stellte dabei fest, dass mein Körper nun ohne größere Widerstände zu gleitenden, weicheren Bewegungen fähig war. Ein Bild tauchte in mir auf: Das Bild eines Mädchens, das sich zur Musik bewegte. Ich dachte an eine Tänzerin. Es setzte in mir eine Sehnsucht frei, alles zu verstehen, alles auszuprobieren. Die Tänzerin, das war die erste Vision …
    Ich nahm den Mechanismus und drehte. Die silbrige Musik erklang. Da! Die Konturen des Mannes kehrten zurück. Ich drehte schneller und schneller. Der Mann erschien, verschwand wieder, erschien aufs Neue. Ich schien ihn zu quälen, indem ich ihn zum Erscheinen zwang, aber war es für ihn denn nicht eine Freude zu existieren? War es für ihn keine Freude, in die Welt zu kommen?
    »Bitte nicht, Olympia«, rief der Mann mitten in seinen unfertigen Erscheinungsversuchen. »Ich bin alt, müde und krank. Lass mich, wo ich bin. Es strengt mich furchtbar an. Ich weiß nicht, warum ausgerechnet diese Spieluhr dafür sorgt, dass ich in die Dachkammer meines Hauses gerissen werde, aber ich weiß, dass es mich ermüdet … Lass mich schlafen …«
    Ich gab nicht nach, ich wollte noch mehr wissen. Ich kurbelte weiter.
    »Ihr Haus?«
    »Ja«, sagte er, unendlich müde und angestrengt, »das Haus, in dem ich lebe. Du wirst es noch verstehen. Aber nicht jetzt …«
    »Aber wer sind Sie?«, fragte ich.
    »Sind Namen nicht Schall und Rauch? Nützt es dir, wenn du weißt, dass du Olympia heißt?«
    Ich kurbelte weiter. Der Mann war meine einzige Verbindung zur Welt. Er wusste Dinge über mich. Er konnte mich warnen. Er konnte mir etwas über diesen Spa-lan-za-ni sagen …
    »Mein Name ist …«
    Ein letztes Aufbäumen hielt ihn noch bei mir. Mir war klar, dass er gleich endgültig verschwinden würde.
    »Hoff … mann«, röchelte er und ging dahin.
    Die Musik gefiel mir, sie stärkte mich, und so kurbelte ich weiter.
    Und auch als ich damit aufhörte, klangen die silbrigen Melodien noch nach, und es drängte mich, mich zu bewegen. Die Vision von der Tänzerin in meinem Kopf lebendig werden zu lassen.
    Wie weich wurden meine Bewegungen. Wie harmonisch.
    Die Musik und das Pulsieren meines Herzens schienen im Gleichklang zu schwingen. Auch als nichts mehr zu hören war, als keine Musik mehr erklang, hallte sie noch in meinem Kopf nach. Ich tänzelte hinüber zum Regal. Das Licht war immer noch schwach, aber das rötliche Leuchten meines Herzens reichte aus. Und die Bücher sprachen zu mir. Die Buchstaben wurden zu einer Stimme, die mir erzählte und berichtete.
    Ich hatte lesen gelernt.
    Ich las.
    Und ich lernte.
    Nicht nur gedruckte Bücher fand ich in den Regalen,
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