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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz
Autoren: Oliver Buslau
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das musste ein Teil von Hoffmanns Fantasie sein. Wenn er in der Lage war, sich Geschichten von lebendig gewordenen Automaten auszudenken, dann war er auch in der Lage, ein Bild von der Zukunft zu entwerfen.
    Dichter haben seit jeher die Fähigkeit besessen, in die Zukunft zu sehen.
    Das hatte Doktor Wilhelmina gesagt. Ich hatte es nicht verstanden, aber jetzt war mir klar, was es bedeutete.
    Coppelius’ Stimme holte mich aus meinen Grübeleien.
    »Wir sind da«, sagte er. »Und nun wirst du mir helfen, das Haus zu betreten.«
    Er streckte die Hand aus und reichte mir etwas.
    Es war die Spieluhr.
*
    Einen Moment lang dachte ich, er spiele ein böses Spiel mit mir. Er musste einen teuflischen Plan haben, wenn er zuließ, dass ich die Spieluhr benutzte. Die Spieluhr, die ich ja als Waffe einsetzen konnte.
    »Nimm sie«, sagte er. »Und setze sie in Gang. Wenn du die Musik spielst, wird Hoffmann erscheinen, richtig?«
    Hinter ihm bewegte sich die Dunkelheit zwischen den Straßenlaternen. Aus den schwarzen Flächen der Häuser waberte die Finsternis. Es war Coppelius’ dunkle Armee, die uns gefolgt war.
    Wieder erschienen die gesichtslosen Helfer nach einem bestimmten Zahlenmuster: Erst sah ich einen, dann zwei, dann drei, dann fünf, dann acht, dreizehn, einundzwanzig, vierunddreißig …
    Der Anblick jagte mir Angst ein. Ich begann die Kurbel zu drehen, hörte die silbernen Klänge, die sich in vielen Melodien, die gleichzeitig nebeneinander herliefen, wie ein wunderbar harmonisches Muster über die ganze Stadt zu verteilen schienen.
    Coppelius und seine Armee verschwanden nicht. Sie standen da, umringten mich immer mehr. Und auf einmal wusste ich, warum ihnen die Musik nichts mehr ausmachte: Etwas bedeckte ihre Ohren. Sie hatten sich vor den harmonischen Klängen geschützt.
    »Kennst du die Geschichte von Odysseus und den Sirenen?«, sagte Coppelius. »Die Sirenen locken mit ihrem Gesang jeden Seefahrer in den Tod. Odysseus wollte ihren Gesang hören und ließ sich an den Mast seines Schiffes festbinden. Seine Männer aber, die das Schiff lenkten, mussten sich Wachs in die Ohren stopfen, um dagegen gewappnet zu sein.«
    »Lächerlich«, sagte ich. »Warum sind Sie darauf nicht schon früher gekommen?«
    »Weil ich nicht darauf gekommen bin«, sagte eine brüchige, alte Stimme neben mir, und ich war so erstaunt, dass ich die Kurbel anhielt. Die Musik verstummte, plötzlich waren wir wieder alleine – Coppelius und ich -, die Stadt war verschwunden, und mit ihr die dunkle Armee. Allerdings war noch jemand da. Ein hageres Männlein, das, von einer Wolldecke bedeckt, in einem Sessel saß.
    Ich erkannte ihn kaum wieder. Mir war klar, dass dieser Mann vom Tod gezeichnet war.
    »Coppelius, nun sehen wir uns einmal persönlich«, krächzte das Männlein. »Gerade jetzt, wo es eigentlich zu spät ist.«
    »Für mich ist es nie zu spät«, sagte der Magier, und das Lächeln des Siegers umspielte seine Lippen. »Ich werde siegen, das heißt, ich habe bereits gesiegt. Ich werde Sie, Hoffmann, in meine Armee aufnehmen und Sie zwingen, Ihre Fantasie für mich einzusetzen … und Olympia …«
    Hoffmann wandte sich mir zu. Seine Augen waren noch klar, und ich las etwas wie Liebe darin. Und die Gewissheit, dass er genau dasselbe dachte wie ich: Coppelius hatte nichts verstanden. Coppelius hatte verloren, ohne es zu begreifen. Denn in diesem Moment atmete Hoffmann scharf ein, seufzte noch einmal tief. Und im selben Moment, in dem er starb, löste sich Coppelius auf, Hoffmann selbst verschwand mitsamt der Decke und dem Sessel, und mich umgab das reine Nichts.

9
    Das Erste, was ich spürte, war ein pulsierendes Pumpen, das meinen Körper erfüllte. Lange, bevor ich die Augen öffnen konnte und meine Umgebung in mich aufnahm, war da dieses pochende, hallende Pulsieren.
    Und eine Stimme … nein, zwei Stimmen.
    »Da liegt jemand. Eine Frau.«
    »Was ist mir ihr?«
    »Ist sie tot?«
    »Ich weiß nicht.«
    Stimmen von Leuten. Zwei junge Männer.
    »Sie bewegt sich.«
    »Ja, sie atmet auch.«
    »Ich hab hier keinen Empfang. Ich geh runter und ruf einen Krankenwagen.«
    Schritte entfernten sich.
    »Ganz ruhig«, sagte jemand, nah an meinem Ohr. Es war die Stimme, die ich als angenehmer empfunden hatte. Ein seltsamer Gedanke ging mir durch den Kopf: Gut, dass dieser hiergeblieben ist, nicht der andere.
    Ich öffnete die Augen.
    Aber das war ja …
    Nathan. Es war seine Stimme gewesen. Und er war es, der sich über mich beugte.
    »Ah, da
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