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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz
Autoren: Oliver Buslau
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entdeckt, ist die eine Sache. Die andere, zu welchen Katastrophen die Entdeckungen führen.« Der Gedanke schien ihn zu beschäftigen, denn er runzelte die Stirn, wandte sich ab und ging auf die gegenüberliegende Seite des Kerkers, wobei die Kette, die er mit sich herumschleppte, bei jedem Schritt klirrte.
    Plötzlich stand Professor Spalanzani still.
    »Sie kommen«, sagte er. »Mein Gott, jetzt schon. Ich hatte eigentlich damit gerechnet, dass sie uns noch etwas Zeit geben würden. Aber ich hätte es ja wissen müssen … Zeit ist das Einzige, das Coppelius nicht hat.« Er senkte seine Stimme, geriet ins Brummeln. »Er hat ja schon das Leben. Was wäre, wenn er jetzt auch noch Macht über die Zeit bekäme?«
*
    Jetzt hörte ich auch die fernen Schritte, die nach und nach lauter wurden. Es waren mehrere, die sich uns näherten, sie klangen mit ihrem Trapp-Trapp-Trapp wie eine Truppe Soldaten im Gleichschritt. Das Schloss in der schweren Eichentür, die den Kerker absperrte, rasselte. Die Tür öffnete sich. Ich hatte erwartet, dass Coppelius erscheinen würde, aber es waren die Männer seiner Armee, die den Saal auszufüllen begannen.
    Ähnlich wie im Theater, drangen sie nach und nach in den Raum, füllten ihn aus mit ihrer Schwärze, sorgten dafür, dass alles in eine tiefe Nacht getaucht wurde. Aber jetzt, beim zweiten Mal, hatte ich Gelegenheit zu erkennen, dass das ein ganz falscher Rückschluss gewesen war. Die gesichtslosen Gestalten füllten nichts aus. Sie sorgten dafür, dass alles andere um sie herum verschwand. Sie bildeten Löcher in der Welt, die ich sah – in den Kerkermauern, der Tür, den Ketten und dem Stroh auf dem feuchten Boden. Es war, als lösche sich das alles aus, entlarve sich selbst als Chimäre, als eingebildete, mit Coppelius’ magischen Mitteln nachgebildete Welt, die er vor das schob, in dem er – der Tod – eigentlich zu Hause war: dem Nichts. Das Theater, dieser Kerker – all das hatte er nur geschaffen, damit ich nicht sofort erkannte, dass ich mich in seiner Welt befand.
    Nicht nur die Dinge verschwanden. Nicht nur die schweren Quader des Gefängnisses, die Ketten, das matt leuchtende Fenster ganz oben, durch das ich ein wenig Himmel hatte sehen können. Auch Spalanzani verlosch, als ihm einer der Männer aus der Armee zu nahe kam. Einen Moment lang sah mich der Professor noch an. Trauer lag in seinem Blick und das Bewusstsein, nun für immer von mir Abschied nehmen zu müssen. Dann legte sich der Mantel eines dieser Geschöpfe über ihn, und er war verschwunden. Wo er gewesen war, gab es nur noch eine schwarze Fläche.
    Er ist gestorben, dachte ich. Das, was ihm geschehen ist, das ist der Tod.
    Ich hatte in den Büchern in der Dachkammer gelesen, dass alle Lebewesen sterben mussten. Als mir der Professor dann erklärt hatte, dass Coppelius der Tod war, hatte ich mir den Magier als eine Macht vorgestellt, die in der Welt war, damit das Sterben selbst nicht starb. Aber nun erlebte ich, wie es war, wenn er jemanden holte.
    Nur mich holen sie nicht, dachte ich. Dabei rechnete ich jeden Moment damit, denn welchen Sinn sollte es haben, dass mich der Tod selbst am Leben ließ? Mein Herz schlug schneller. Nach und nach steigerte sich meine Angst zu wilder Panik. Mein Herz trommelte. Die Finsternis um mich her nahm zu, bis sogar der Boden unter meinen Füßen verschwand und ich alleine in einem namenlosen Raum zu schweben schien.
    Noch lebte ich. Doch ich rechnete damit, dass es jeden Moment zu Ende sein würde.
    »Ja, noch lebst du.«
    Die Stimme von Coppelius kam von irgendwoher. Sie schien mich aus allen Richtungen gleichzeitig zu erreichen, als wäre ich in einer Kugel, wo der Schall zwischen den gekrümmten Wänden immer wieder hin- und hergeworfen wird.
    »Aber ich werde dir das Leben nehmen, kleine Olympia.«
    Ja, dachte ich. Das kann ich mir vorstellen.
    Jetzt, als ausgesprochen worden war, was mit mir geschehen sollte, fühlte ich mich auf einmal ganz ruhig. Mein Herz hatte sich wieder auf eine normale Frequenz eingestellt, ich atmete langsam.
    »Ich muss dir das Leben nehmen, um es zu beherrschen. Der Tod soll noch mehr Macht bekommen. Und dank Professor Spalanzani wird das nun geschehen.«
    Gab es denn gar keine Möglichkeit, dem Tod doch noch zu entkommen? In mir tobten die Gedanken. Denk nach, Olympia. Es gibt etwas, das du tun kannst.
    Wieso dachte ich das? Nichts konnte ich tun. Es war vorbei. Ich besaß meine kleine Wunderwaffe, die Spieluhr, nicht mehr. Ich konnte
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