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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz
Autoren: Oliver Buslau
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sondern auch Handschriftliches – ordentlich geschrieben mit Tinte. Ein ganzes Konvolut von Texten, unterbrochen von Zeichnungen, allesamt unterschrieben mit zwei kleinen Buchstaben, mit denen der Verfasser verdeutlichte, von wem dieses Material war.
    Sp.
    Zwei kleine Buchstaben nur, die aber zeigten, dass dieser Hoffmann recht gehabt hatte. Denn Sp stand natürlich für Spalanzani. Meinen Erschaffer. Und dass er das wirklich war, bewiesen die Zeichnungen, die eine junge Frau darstellten – die Gliedmaßen nur in wenigen Strichen hingeworfen, aber deutlich in die Brust gesetzt ein unförmiges Organ, das weite Strahlen nach außen warf.
    Das Organ war mein Herz.
    Die Figur war ich.
    Unter der Zeichnung stand es: Olympia.
    Ich blätterte fieberhaft. Obwohl ich jetzt lesen konnte, zogen mich zuerst die Zeichnungen magisch an. Und sie zeigten mich in verschiedenen Stellungen, als hätte Spalanzani sich genau überlegen müssen, wie er seine Olympia, mich, so konstruiert, dass sie laufen, sich beugen, liegen und sich hinhocken konnte.
    Und nicht nur das: auch tanzen!
    Olympia tanzend , stand in steiler Schrift unter einer dieser Zeichnungen. Und der Anblick ließ die Röte meines Herzens noch mehr leuchten, ließ sie sogar etwas dunkler werden und schneller pulsieren.
    Olympia tanzend …
    Meine Vision überlagerte sich mit diesem Bild, wurde zu einem Traum, zu einer Hoffnung, zu einem Ziel …
    Welchen Sinn hatte das Leben, wenn ich es in dieser Dachkammer verbringen musste?
    Was war außerhalb dieser Kammer?
    Wie groß war die Welt?
    Ich schloss die Augen und versuchte es mir vorzustellen.
    Obwohl ich nichts gesehen hatte außer diesem Kämmerlein, gelang es mir. Mich streiften in schneller Folge Bilder: ein Theater mit einer Bühne, von Kerzen hell erleuchtet. Auf der Bühne eine Figur, die aussah wie ich – aber ohne pulsierendes Herz, ohne die offen sichtbaren Adern, durch die meine Lebensenergie floss. Ein vollständiger Körper, wie ich ihn in den Büchern gesehen hatte, umgeben von eng anliegendem Stoff. Schwarzes, nach hinten gekämmtes Haar. Ein glitzernder Reif darin, in dem sich das Licht des Theaters brach.
    Und die Musik: nicht schöner als die Klänge aus der Spieluhr, aber ganz anders. Ein ganzes Orchester begleitete meine schwungvollen Bewegungen. Streicher, Bläser harmonierten in weit ausholenden Rhythmen. Mein Tanz und die Klänge vereinten sich für das tausendköpfige Publikum, das in dem mit Gold geschmückten Saal nur Augen hatte, nur für mich …
    Zu spät wurde mir klar, dass mich die Szene angeregt hatte, mich unbedacht zu bewegen, als hätten meine Beine ein Eigenleben entwickelt, als würde etwas in mir losgelassen – die Feder eines Mechanismus, die man befreit …
    Ich verlor das Gleichgewicht und fiel auf den Holzboden. Es gelang mir gerade noch, mich an dem Regal festzuhalten, das jedoch gefährlich schwankte und aus dem ich etliche Bücher mit herunterriss. Wie ein Regen aus dicken Steinen stürzte alles auf mich ein. Am Ende saß ich in einer Staubwolke.
    Ich kam mit einer einzigen Bewegung auf die Beine. Meine Kraft war wieder ein gutes Stück gewachsen.
    Ich wühlte in den herabgefallenen Büchern, stapelte alles auf dem staubigen Boden, trennte Gedrucktes von den Handschriften, von denen ich sicher war, dass sie mir viel über mich selbst beibrachten. Mir über meine Herkunft und die Welt da draußen berichten konnten. Denn sie waren von Spalanzani.
    Und wie ich die Zeilen so überflog, wuchs in mir eine neue Vision – ein fester Plan: Ich würde, so schnell es ging, alles lernen, was ich über mich lernen konnte.
    Und dann würde ich dieses Zimmer verlassen.
    Ich wollte wissen, was außerhalb lag.
    Was es noch gab.
    Ob es das Theater gab, in dem ich in meiner Vision aufgetreten war.
    Ich hatte Feinde, das hatte mir dieser Hoffmann erklärt. Nach draußen zu gehen, war gefährlich. Etwas hatte am Fenster gelauert, und Spalanzanis Stimme hatte mir genau wie Hoffmann verboten, die Kammer zu verlassen.
    Doch der Wunsch wurde übermächtig.
    Aber ich war klug genug, mich vorzubereiten.
*
    Irgendwann wagte ich, zur Tür zu gehen.
    Ich blieb stehen, lauschte.
    Kein Geräusch war dahinter.
    Ich rief mir noch einmal ins Gedächtnis, was ich aus Spalanzanis Schriften über mich herausgefunden hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es mir half, mir Wahrheiten bewusst zu machen. Mich innerlich davon zu überzeugen, dass ich denken, mich erinnern, mir etwas vorstellen konnte. Und wenn es auch
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