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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz
Autoren: Oliver Buslau
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nur die Schriften waren. Das Denken, das Stellen von Fragen, das Suchen nach Antworten – ich ahnte, dass diese Dinge etwas waren, was zum Menschsein dazugehörte.
    Mein Herz schlug wieder schneller, als ich da vor der Tür stand. Und ich murmelte vor mich hin, was ich erfahren hatte, als wäre es damit klarer in der Welt, als wäre es manifest und sicher.
    »Spalanzani hat mich erschaffen«, brummelte ich, und nur der Sessel, das Bücherregal, der alte Schrank mit dem Spiegel hörten mir zu. »Wie Hoffmann es gesagt hat. Er hat mich erschaffen, aber ein mächtiger Feind will wissen, wie ihm das gelungen ist. Worin das Geheimnis meines Lebens besteht. Was mein Herz schlagen lässt. Und dieser Feind heißt …« Ich zögerte, den Namen auszusprechen, als würde die Nennung dieses Wortes ihn, den Bösen, der sicher nichts Gutes mit mir vorhatte, heraufbeschwören.
    Ich ließ die Buchstaben und Silben über meine Zunge wandern. Formte das C, als festen Konsonanten hinten im Hals, rundete meinen Mund zum o, ließ ein p über die geschlossenen Lippen knallen, um dann meine Lippen zur Seite zu ziehen und mit den letzten Lauten den Namen zu vollenden.
    »Coppelius.« Das war sein Name.
    Ich dachte an die dunkle Gestalt, die ich auf der anderen Seite des Fensters gesehen hatte, und mir war klar, dass das Coppelius gewesen sein musste. Aber, so überlegte ich, wenn das so war, dann gab es etwas, das ihn aufhielt, das ihn davon abschreckte, herzukommen und mich anzugreifen …
    Es hatte eine Weile gedauert, bis ich in Spalanzanis Schriften gefunden hatte, was das war.
    Denn ich war in der Tat nicht schutzlos. Ich hatte eine Waffe.
    Und diese Waffe war die Spieluhr, die ich entdeckt und mit der ich Hoffmann herbeigeholt hatte.
    Hoffmann musste so etwas wie ein Schutzgeist sein. Wenn auch kein allmächtiger Geist, denn er war ja – wie er auch selbst sagte – krank, und seine Schwäche war unübersehbar gewesen.
    Aber die Spieluhr konnte noch mehr. Ich hatte in Spalanzanis Schriften etwas von der Weltharmonie gelesen, die sich in den silbrigen, glockenartigen Klängen widerspiegelte. Ich hatte das nicht so ganz verstanden, aber die Klänge dieses kleinen Mechanismus schienen die Bahnen von Planeten und ganzen Welten in einem unermesslichen Raum nachzuahmen, schienen denselben Regeln zu gehorchen, sodass die Musik in der Lage war, die Kraft dieses Coppelius zu bannen.
    Das war doch etwas!
    Und wenn ich mir die unendlichen Räume vorstellte, von denen da die Rede war …
    Ich konnte es nicht. Alles, was ich wusste, war, dass ich in eine enge Dachkammer gesperrt war und sie nicht verlassen sollte. Und das, wo unendliche Räume auf mich warteten.
    Irgendwo in einer Ecke neben dem Regal hatte ich ein Stück Schnur gefunden, das ich um die Spieluhr schlang. So konnte ich sie mir um den Hals hängen. Wie einen Talisman.
    Und dann atmete ich noch einmal tief durch. Die Luft war staubig, aber ich atmete . Ich atmete die Luft, ich hatte also Lungen, ich war auf dem Weg dahin, ein Mensch zu werden.
    Dann öffnete ich die Tür.
*
    Dort draußen war es noch dunkler als in meiner Kammer. Aber ich erahnte einen hölzernen Treppenabsatz. Drei, vier Schritte, dann ging es nach unten.
    Ich war stolz darauf, wie mir meine Beine gehorchten. Wie biegsam sich meine Knie beugten!
    Vielleicht würde eines Tages mein Traum vom Tanzen doch Wirklichkeit, dachte ich.
    Ich tastete nach dem hölzernen, glatten Geländer. Das Treppenhaus führte mich in jedem Geschoss einmal um mich selbst. Ich kam an dunklen Türen vorbei. Und dann wurde mir bewusst, dass ich nicht alleine in dem Haus war.
    Ich näherte mich einer Tür, hinter der wahrscheinlich eine Wohnung lag. Und aus dieser Wohnung drang ein Geräusch. Ein schnarrendes Röcheln. Dazu gelegentlich ein Murmeln, ein krächzendes Husten. Ich erstarrte und lauschte lange. Es waren dieselben Geräusche, die Hoffmann von sich gegeben hatte, da war ich sicher. Wieso war er hinter dieser Tür?
    Ich streckte die Hand aus, fand eine metallene Klinke und drückte sie nach unten.
    Die Tür war verschlossen.
    Sollte ich klopfen?
    Er wird dich wieder in die Dachkammer schicken, dachte ich. Das wird er tun. Sag ihm nicht, dass du sie verlassen hast. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich immer noch an ihn wenden.
    Ich ging weiter die Treppe hinunter. Die Stufen endeten auf einem Steinfußboden. Ein breiter Flur führte zu einer großen Tür, die halb offen stand. Dahinter rauschte der Regen.
    Ich zögerte noch einen
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