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Horror Factory - Glutherz

Horror Factory - Glutherz

Titel: Horror Factory - Glutherz
Autoren: Oliver Buslau
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Moment, dann wagte ich es.
    Ich nahm Schwung, zog die Tür ganz auf und lief hinaus. Verschwunden war meine Vorsicht. Ich spürte die nassen Regentropfen auf meinem Körper, ich spürte, dass das Wasser meine Kleidung durchnässte und schwer werden ließ, aber dafür hatte ich keinen Blick, denn ich fühlte, dass ich frei war.
    Ich befand mich in einer Stadt. Die eng aneinandergebauten Häuser wirkten wie riesige alte Wesen, die mit ihren dunklen Fensterhöhlen auf mich herabblickten, als ich da auf dem Pflaster herumlief. In der Nässe spiegelten sich die Lichter von einsam dastehenden Laternen. Außer mir war niemand auf der Straße.
    Gegenüber erhob sich ein besonders großes Gebäude neben einem stillen Platz. Ein Stück weiter ragte ein riesiges Haus mit einer seltsamen Kuppel auf.
    Wo sollte ich hin? Ich rannte einfach los – über den Platz, dann wieder zurück zu dem Haus, aus dem ich gekommen war, schließlich um die nächste Ecke, wo neue Häuserschluchten lagen.
    Je schneller ich lief, desto schneller pulste mein Herz. Und es strengte mich an. Ich musste stehen bleiben, atmete schwer. Eine Mischung aus Aufregung und Glück schien mich zu überwältigen.
    Und wieder hörte ich etwas.
    Schritte.
    Ich hatte sie mir kaum bewusst gemacht, da näherte sich eine Gestalt. Dunkel, einen Zylinder auf dem Kopf. Ich sah auf, blickte dem Mann entgegen. Nicht nur die Schritte, sondern auch ein Spazierstock klackerte auf dem Pflaster.
    Ein Stück von mir entfernt blieb der Mann stehen – genau unter einer Laterne.
    Ich hätte eigentlich sein Gesicht sehen müssen, aber da war nichts. Die Umrisse des Kopfes waren sichtbar, aber alles war vollkommen schwarz. Als sei ein Schatten in den Mantel gehüllt.
    Ich war zu sorglos gewesen. Geradezu leichtsinnig.
    Ich hätte auf Spalanzani und Hoffmann hören und in der Kammer bleiben sollen.
    Aber der Mann blieb ja stehen. Der Weg zurück ins Haus war frei. Ich drehte mich um, und da stand der Mann ein weiteres Mal. Das heißt, es war nicht derselbe, nur einer, der genauso aussah. Und es waren noch mehr da – drei, fünf, acht, dreizehn, mehr als zwanzig. Sie schienen sich zu vervielfachen, je mehr ich darüber nachdachte. Und sie kamen langsam auf mich zu. Ein Kreis von Schatten, der immer enger wurde.
    Die Spieluhr, dachte ich. Du hast doch eine Waffe.
    Mein Denken schien doch nicht so schnell zu funktionieren, wie ich es mir erhofft hatte. Sonst wäre ich sicher sofort darauf gekommen.
    Ich griff danach, bekam sie nicht zu fassen, musste erst umständlich die Schnur über den Kopf ziehen. Dann wollte ich die Kurbel drehen, immer den Blick auf die näher kommenden Schatten gerichtet, aber meine Hände gehorchten mir nicht.
    Ich hatte Angst.
    Nein, keine Angst, ich hatte Panik, und sie drohte mich so zu überwältigen, dass ich nicht mehr Herrin über meine Bewegungen war.
    Niemand hatte mir gesagt, dass Angst so etwas auslöste, dass man seine Waffe gerade in der höchsten Gefahr nicht einsetzen konnte, wenn man in Panik verfiel.
    Der Mechanismus entglitt meinen Händen, fiel auf das Pflaster und gab einen müden Ton von sich, der natürlich bei Weitem nichts mit der himmlischen Musik zu tun hatte, die ich der Spieluhr sonst entlockte.
    Aber der Klang reichte, um die Schatten zurückweichen zu lassen.
    Sie gingen auf Abstand. Der Kreis öffnete sich sogar an einer Stelle.
    Das war eine Chance für mich. Ich konnte fliehen. Wenn ich in der Lage war, zu rennen …
    Ich bückte mich, um die Spieluhr aufzuheben. Hinter der Lücke sah ich den stillen Platz mit dem Kuppelgebäude. Ich wollte gerade loslaufen, da raste etwas auf mich zu. Ein schwarz glänzendes brüllendes Ding, das mir einen Schlag versetzte. Für einen Moment spürte ich, wie ich durch die Luft flog. Ich erwartete, auf das harte Pflaster zu knallen.
    Dann griff man nach mir. Ich wusste nichts mehr. Ich hatte noch nie erlebt, das Bewusstsein zu verlieren. Schließlich hatte ich es ja erst vor Kurzem zum ersten Mal erlangt.
    Aber jetzt war es so weit.

2
    Als ich zu mir kam, rasten quälend helle Lichter über mir vorbei. Ein tiefes Brummen umgab mich. Noch immer peitschte der Regen. An einer der Scheiben über mir bildeten die Regentropfen lange Bahnen. Ich schloss die Augen. Jetzt hätte ich gerne wieder mein Bewusstsein aufgegeben, aber es ging nicht. Es war mir nicht möglich, bewusst ohnmächtig zu werden. Oder – ich hatte in Spalanzanis Schriften darüber gelesen, dass es das gab, aber noch nie erlebt – zu
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