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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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Schreibtisch. Manchmal geht er zu den Versammlungen in Parkville, wo Detectives im Ruhestand immer noch dasselbe Zeug erzählen und mit einem Augenzwinkern fragen, wann die NBC endlich die dicken Schecks abschickt.
    Kein Kommentar. Aber der Praktikant hält seine Kreditkarte schon bereit, denn er weiß, dass er diesen Typen – jedem Einzelnen von ihnen – viel, wenn nicht sogar seine ganze Karriere, zu verdanken hat und ihnen mehr schuldet als ein paar Runden.
    D AVID S IMON
Baltimore

Mai 2006

Akte geschlossen
    In den eineinhalb Jahrzehnten seit der Entstehung dieses Buchs hat sich David Simon von einem Journalisten mit fragwürdigem Talent, der noch grün hinter dem Ohr mit dem Diamantstecker war, im T-Shirt herumlief und ständig ein Notizbuch mit sich herumschleppte, zu einem mit zahlreichen Preisen bedachten Schriftsteller, gefeierten Drehbuchautor und versierten Produzenten von Fernsehserien gemausert. In diesen fünfzehn Jahren bin ich genau einmal befördert worden.
    Die Jahre vergingen, und außer bei ein paar Kollegentreffen und den Abschiedsfeiern für Gary D’Addario und Eugene Cassidy sah ich Dave nicht oft. Dann rief mich eines Tages mein Sohn aus North Carolina an. »Dad«, sagte er, »auf HBO läuft eine Serie über euer Dezernat.« Ich erwiderte, ich kenne
The Wire
gut, und fragte Brian, ob er sich die Serie wirklich ansehe. Seine Antwort klang beinah ehrfürchtig: »Dad, beim Marine Corps schauen sich alle
The Wire
an.«
    Simon hatte es mal wieder geschafft.
    Als 1988 ein Führungsstab, der vielleicht nicht ganz Herr seiner Sinne war, Dave erlaubte, ein Jahr bei uns zu verbringen, schmunzelten meine Kollegen und ich und spielten mit ihm wie kleine Kinder, die ein neues Spielzeug in ihrer Wiege gefunden haben. Zu unserem Vergnügen war Dave noch jung und so wenig an Alkohol gewöhnt, dass er schon nach ein paar mickrigen Bieren vollkommen betrunken war. Er zog nach der Arbeit mit uns in die Kneipe, vielleicht in der Hoffnung, einen Blick auf den Heiligen Gral des Morddezernats zu erhaschen, merkte aber schließlich, dass wir nur das Schauspiel genießen wollten, wie jemand nach drei Dosen Bier bereits hinüber war.
    Dave nahm es hin, dass wir ihn ein wenig aufzogen, und bald bewegte er sich unter uns, ohne dass wir von ihm Notiz nahmen. Er spielte quasi Mäuschen und sog alles in sich auf, während wir viel zu sehr damit beschäftigt waren, all der Morde Herr zu werden, um in seiner Gegenwart unser Verhalten zu kontrollieren. Anfangs allerdings waren wir vorsichtig,wenn wir in seiner Gegenwart redeten. Wir überlegten uns, was wir wie sagten und taten. Doch nach einiger Zeit ließ uns die Arbeit einfach keine Zeit mehr für solche Dinge. Und je mehr wir zu tun hatten, desto mehr kritzelte er mit. Wir erlaubten ihm zwar, bei routinemäßigen Vernehmungen dabei zu sein, doch in bestimmten Fällen konnten wir es aus juristischen Gründen nicht zulassen. Damals verfügten wir noch nicht über die Videokameras und Mikrofone, mit denen sich die Vernehmung nach außen übertragen lässt, wie sie heute in jedem polizeilichen Vernehmungsraum üblich sind. So lernten wir mit der Zeit, die Tür vorsichtig zu öffnen, um sie Dave nicht ins Gesicht zu rammen, denn er horchte gern durch die Spalten im Türrahmen, und nach dem zu urteilen, wie genau er hinterher ganze Verhöre wiedergeben konnte, verfügte er über ein hervorragendes Gehör. Als
Homicide. Ein Jahr auf mörderischen Straßen
erschien, waren wir regelrecht beglückt darüber, wie genau David das kontrollierte Chaos erfasst hatte, das in jedem Morddezernat einer Stadt herrscht: die rasanten Achterbahnfahrten mancher Ermittlungen, die Enttäuschungen und Triumphe, den ständigen Strom unvorstellbarer Gewalt.
    Der inzwischen ernüchterte Führungsstab reagierte auf Davids bahnbrechendes Werk, indem er den Justiziar prüfen ließ, ob man uns Verstöße gegen die polizeilichen Vorschriften vorwerfen könne. Aber die kühleren Köpfe setzten sich durch, und es gab keine Disziplinarverfahren. Allerdings stellten viele von uns fest, dass unsere Leistungsbewertung sank wie ein Ziegelstein in einem verseuchten Teich. Doch dann lief die NBC-Serie nach dem Buch von David, und Hollywood verlieh seiner Zeit bei uns nun nachträglich doch einen gewissen Glanz.
    Wir Cops sind geradezu besessen davon, unsere Zeitgenossen zu beschreiben: Hispano, Schwarzer, Weißer, jeder wird in eine Schublade gesteckt. Wir stehen im Zeugenstand und sagen: »Der Schwarze betrat
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