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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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der besten Reporter der
Baltimore Sun
wurden an den Rand gedrängt, dann bekamen sie miese Verträge, und schließlich wurden sie vertrieben und von vierundzwanzigjährigen Vasallen ersetzt, die niemals den Fehler begingen, sich ernsthaft mit der Redaktionsleitung anzulegen. In einer Zeit des Wachstums, als die Chance zum Ausbau des Unternehmens vorhanden war, warb die neue Leitung der
Sun
ungefähr so viele Talente an, wie sie in die Wüste schickte. Und am Ende, als die Glücksritter, die sich als heldenhafte Erneuerer feiern ließen, schließlich abzogen, hatten sie in ungefähr zwölf Jahren drei Pulitzer-Preise an Land gezogen. In den zwölf Jahren davor hatten die Morgen- und Abendausgabe der Zeitung exakt genauso viele bekommen.
    Während ich mit Garvey über dem einen oder anderen Glas zusammensaß, wurde mir klar, wie typisch das war. Egal, wo man im postmodernen Amerika arbeitete oder diente – bei der Polizei oder einer Zeitung, einer politischen Partei oder einer Kirche, Enron oder Worldcom –, am Ende war man wahrscheinlich der Betrogene.
    Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr Ähnlichkeit sah ich zu den Dramen der alten Griechen. Im Grunde war es genau das, worüber Aischylos und Sophokles geschrieben hatten, nur dass die Götter nicht im Olymp saßen, sondern in den Führungsetagen der Konzerne und Behörden. Unsere Welt ist in jeder Hinsicht eine geworden, in der der einzelne Mensch – sei es ein erfahrener Detective oder ein kenntnisreicher Journalist, ein mit allen Wassern gewaschener Drogendealer, einHafenarbeiter in der dritten Generation oder eine eingeschmuggelte osteuropäische Sexarbeiterin – immer weniger zählt.
    Mit all dem im Hinterkopf, was mit meiner Zeitung und dem Morddezernat von Baltimore geschehen war, begann ich den Pilot für eine neue HBO-Serie zu schreiben.
The Wire
hat seitdem meine Tage bestimmt, die guten wie die schlechten.
    Nachdem er das Manuskript für
Homicide
gelesen hatte, schickte mir Terry McLarney einen Brief. Es war ein einzelner Bogen dickes, schweres Papier, und ganz oben stand:
    »Das Buch. Band II.«
    Und darunter der Satz: »Oh, mein Gott. Sie sind alle versetzt worden. Ich glaube, jetzt weiß ich, was die mir sagen wollten.«
    Das war der einzige Schuss vor den Bug, den ich vor der Veröffentlichung erhielt, die einzige Warnung – wenn auch eher im Scherz gemeint –, dass das Buch für jene, die es darstellte, zum Problem werden könnte.
    Und im Gefolge von Fraziers Rotationspolitik und dem Weggang weiterer erfahrenen Detectives, der nichts mit dieser Politik zu tun hatte, scheint McLarneys trockenes, komisches Lamento sicherlich prophetisch.
    Dennoch, wenn man im Jahr 1998 im Rückblick auf das Jahr, in dem ich diesen Männern mit Stift und Notizbuch nachstellte, konstatiert, dass drei Viertel von ihnen nicht mehr im Morddezernat von Baltimore arbeiteten, dann gehört dazu auch eine andere Wahrheit, die ebenfalls festgehalten werden soll. Denn wenn man von dem Zeitpunkt, an dem ich als Polizeipraktikant arbeitete, weitere zehn Jahre zurückblickt, so stellt man fest, dass auch drei Viertel der Detectives, die das Dezernat im Jahr 1978 bemannt hatten, 1988 dort nicht mehr anzutreffen waren. Bloß hatte über sie niemand ein Buch geschrieben.
    Die Zeit selbst sorgt eben auf ganz natürliche Weise für Veränderungen.
    Und mit der Zeit gewöhnte sich Baltimore auch an das Bild, das in
Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Straßen
und in der darauf aufbauenden Fernsehserie von der Stadt gezeichnet wurde. Der Bürgermeister hatte seinen Gastauftritt, sogar der Gouverneur von Maryland. Die Schauspielerwurden zu Ehrenbürgern Baltimores. Und ich habe in den letzten anderthalb Jahrzehnten das Buch für zahlreiche Politiker, engagierte Bürger, Anwälte, Cops und Kriminelle signiert.
    In manchen Kreisen bin ich allerdings weniger gern gesehen, vielleicht, weil
The Corner
und
The Wire
ein ziemlich düsteres Bild dieser Stadt zeichnen. Manche fürchten, dass all diese Mordgeschichten dem Image von Baltimore und seiner Anziehungskraft für Touristen schaden. Auf der anderen Seite gibt es aber auch einen gewissen Stolz, Bürger einer Stadt zu sein, die sich trotz einer solch beängstigenden und hartnäckig hohen Gewaltrate nicht unterkriegen lässt.
    Ich weiß, das klingt etwas nach dem abgedroschenen Ratschlag, ins Limonadengeschäft einzusteigen, wenn einen das Leben mit sauren Zitronen bewirft. Von Anfang an sollte
Homicide
eine schonungslose und
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