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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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Drehbuch schaffe, auch nur die Hälfte seines Texts tatsächlich in der Episode unterzubringen.
    So kam es, dass ich nach meinem zweiten Drehbuch für
Homicide,
das diesmal mit nur wenigen Änderungen umgesetzt wurde, den Sprung wagte. Dabei half mir, dass meine Zeitung – eine ergraute Lady mit ehrwürdigen, vielleicht etwas altbackenen Traditionen – die Spielwiese für zwei Glücksritter aus Philadelphia geworden war, zwei Schmierfinken, die sich nichts sagen ließen, und für die der Gipfel des Journalismus eine fünfteilige Reportage war, in der es im zweiten Absatz hieß: »Wie die
Baltimore Sun
erfahren hat«, woran sich ein bisschen aufgebauschte Empörung und simple Lösungsvorschläge anschlossen.
    Die ganze Redaktion geriet ins Pulitzer-Fieber, und niemand schien mehr zu wissen, wie er seinen Job machen sollte, bevor nicht die neuen Herrscher mit den Gesetzestafeln vom Berg Sinai herabgestiegen waren. Bei der Rückkehr von meinen Recherchen für
The Corner
fand ich eine deprimierte und deprimierende Zeitungsredaktion vor. Alles wurde noch schlimmer, als eine Serie von Abwerbungen talentierte Veteranen zu anderen Zeitungen trieb. Sparprogramme und das Hineindirigieren von außen machten die Zeitung fast kaputt. Selbst für die Mitte der Neunzigerjahre geltenden Maßstäbe herrschte bei der
Sun
ein Klima der intellektuelle Heuchelei und Gier auf Preise, dass kaum noch etwasvon dem übrig war, was mir einst an dieser Zeitung attraktiv erschienen war. Am Ende konnte es bei der Arbeit an einer Fernsehserie auch nicht unredlicher zugehen als bei einer Kampagne, mit der man einen Pulitzer-Preis abstauben wollte.
    Also heuerte ich bei meinem Stiefkind an, und Tom Fontana und seine Crew brachten mir bei, fürs Fernsehen zu schreiben, und das so gut, dass ich stolz war, für ihn zu arbeiten. Und als schließlich
The Corner
erschien, war ich bereit, die Geschichte zusammen mit Mills auch für HBO zu erzählen.
    Von den Detectives akzeptierten die meisten
The Corner
als authentische, faire Erzählung. Nach einer Schießerei Ecke Monroe und Fayette kam Frank Barlow eines Tages zu mir vor das gelbe Absperrband, um mit mir über die alten Zeiten zu plaudern und sich zu erkundigen, wie es mit dem neuen Projekt vorangehe – und ich hatte hinterher meine liebe Not, den Touts, Dealern und Junkies diese Verbrüderungsszene zu erklären. Andere Detectives betrachteten das zweite Buch jedoch als eine Art Verrat – schließlich war die Geschichte nicht aus der Perspektive der tapferen Polizei von Baltimore geschrieben, sondern rückte jene in den Mittelpunkt, hinter denen sie her war.
    Anfang der Neunzigerjahre wurde diese Jagd brutal und gnadenlos. Fünf Jahre, nachdem ich
Homicide
veröffentlicht hatte, hatte die Kokainwelle den Drogenhandel in Baltimore völlig überhitzt und die gesamte Innenstadt verändert. Während es einst vielleicht zwei Dutzend Drogenumschlagplätze gegeben hatte, wurden nun an mehr als hundert Ecken der Stadt Drogen verkauft. Und während das Morddezernat früher in 240 Todesfällen pro Jahr ermittelt hatte, waren nun mehr als 300 Fälle zu untersuchen. Die Aufklärungsquote sank ein wenig, die Vorgesetzten wurden erst nervös und gerieten schließlich in Panik.
    Unter der Leitung von Donald Pomerleau war die Polizeiführung, die sich allein aus dem eigenen Personalbestand rekrutierte, auf Mittelmaß herabgesunken, was sich erst während der Kokainkriege deutlich zeigte. Es ließ sich noch verkraften, dass 1981 ein halb seniler Polizeipräsident eine funktionierende Polizei übernommen hatte. Von Crackhäusern und Speedballs hatte man damals in Baltimore schließlich nur gerüchteweise gehört. Ein Jahrzehnt später aber war echte Führungvonnöten, und zum ersten Mal seit 1966 heuerte die Stadt einen Polizeipräsidenten von außerhalb an und gab ihm freie Hand, ordentlich aufzuräumen.
    Und das tat der Neue dann auch. Allerdings auf die denkbar schlechteste Art und Weise: Thomas Frazier, der vor Selbstbewusstsein strotzend aus San José kam, gelang es beinahe im Handumdrehen, das Morddezernat der Polizei von Baltimore zu ruinieren.
    Vor allem fehlte es Frazier an Gefühl für die Tatsache, dass es in jeder amerikanischen Polizeibehörde zwei Hierarchiestränge gibt. Der erste ist die Befehlskette, in der allein der Dienstrang zählt: Sergeants beugen sich Lieutenants, die sich vor Majors in den Staub werfen, die vor Colonels auf die Knie gehen, die den Arsch des stellvertretenden Polizeichefs
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