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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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schimpfen, und du schreibst. Wir erzählen dreckige Witze, du schreibst. Wir sagen alles Mögliche oder tun alles Mögliche, du bist da mit deinem Stift und deinem Notizbuch und deinem komischen Gesichtsausdruck. Was glaubst du wohl, warum wir dich das alles haben aufschreiben lassen?«
    Und dann lachte er. Über mich oder mit mir – bei ihm war ich mir da nie so ganz sicher.
    Das Buch verkaufte sich recht ordentlich. Nicht so gut, dass es auf die Bestsellerlisten kam, aber gut genug, dass Sterling bereit war, mir einen Vorschuss anzubieten, falls ich eine Idee für eine Fortsetzung hätte. Roger Nolan zog den Ausweis ein, den ich als Polizeipraktikant bekommen hatte, und ich ging wieder zur
Sun.
Die Detectives konnten nun wieder unbeobachtet arbeiten. Und abgesehen von einer kleinen Panikattacke der Polizeiführung, die dem gesamten Dezernat mit Disziplinarmaßnahmen wegen ungebührlichen Verhaltens drohte – der derbe Humor und die ungezügelte vulgäre Ausdrucksweise ihrer Untergebenen waren für die Colonels und die beiden stellvertretenden Polizeichefs offenbar ein schwerer Schock –, war die Reaktion des breiten Publikums auf
Homicide: Ein Jahr auf mörderischen Straßen
in etwa so verhalten, wie das bei erzählenden Sachbüchern üblich ist.
    Es war sicherlich keine Hilfe, dass die Geschichte in Baltimore spielt. Der Redakteur der
New York Times Book Review
lehnte es anfangs ab, das Buch überhaupt zu rezensieren. Es handele sich um ein Werk von lediglich regionaler Bedeutung, erklärte er. Einige Polizeireporter von anderen Zeitungen sagten mir Nettigkeiten. Eines Tages, als ich in der
Sun
mit der Endredaktion der nächsten Ausgabe der Zeitung beschäftigt war und gerade die Temperaturmeldungen in den Wetterbericht eintrug, rief William Friedkin aus Los Angeles an, um mir zu sagen, wie gut ihm das Buch gefallen habe.
    »William wer?«
    »Friedkin. Der Regisseur von
French Connection? Leben und Sterben in L.A.?
    »Alvarez, lass den Quatsch. Ich bin spät dran mit dem verdammten Wetterbericht.«
    Noch ein paar solcher hoffnungsvoller Seufzer, dann verschwanden die gebundenen Exemplare aus den Schaufenstern und wanderten in die Regalecken mit der True-Crime-Literatur. Ich hatte mich wieder bei der
Sun
eingerichtet, und den Detectives begegnete ich nun an den Tatorten von der anderen Seite des gelben Flatterbands. Einmal wurde ich sauer, als Terry McLarney partout nicht aus einem Haus kommen wollte, in dem drei Menschen ermordet worden waren, und ich mit der Geschichte den Redaktionsschluss verpasste. Als ich am nächsten Tag das Präsidium besuchte und mich ein wenig zu deutlich darüber beschwerte, schoss Donald Waltemeyer plötzlich wie eine 45er-Kugel von seinem Stuhl hoch.
    »Herrgott, verdammte Scheiße, Simon! Hör dir mal zu. Du führst dich hier auf wie einer von diesen beschissenen Rechtsverdrehern, die einen in den Zeugenstand zerren und dann solche Fragen stellen wie: ›Stimmt es, Detective Waltemeyer, dass sie 1929 eine Braut gebumst haben?‹ Wen interessiert das? McLarney hatte am Tatort zu tun, und ihm war deine beschissene Zeitung einfach scheißegal. Also scheiß dich hier nicht ein, sondern sag deinem Kackblatt, es soll sich verpissen, und hör auf, hier wie so ein beschissener Anwalt rumzutönen!«
    Als ich mich umschaute, konnte ich McLarney kichern sehen, das Kinn an den Aufschlag seines Sakkos gedrückt.
    »Ein ganzes Jahr warst du hier oben«, beendete Waltemeyerseinen Ausbruch, »und du bist immer noch dieselbe zimperliche Schlampe.«
    Ach, endlich wieder ein Stück Normalität.
    Alles hätte bleiben können, wie es war, wenn nicht Barry Levinson das Buch gekauft und es zu einer NBC-Serie aufgeblasen hätte. Das stellte unsere kleine, in sich geschlossene Welt völlig auf den Kopf. Edgerton war auf einmal ein eingebildeter Intelligenzbolzen von einem Detective namens Pembleton. McLarney wurde zum Kahlkopf, trug einen komischen Schnurrbart und war besessen von der Ermordung Lincolns. Und Worden war dieser Schauspieler – wie heißt er noch mal? –, der in
Beim Sterben ist jeder der Erste
in den Arsch gefickt wird. Und Garvey? Tja, Garvey bekam rote Haare und Titten. Unglaublich, aber wahr, sie machten eine Frau aus ihm.
    Für mich war
Homicide: Ein Jahr auf den Straßen
anfangs eher so etwas wie ein Stiefkind. Ich hatte Respekt davor, wie die Geschichte handwerklich umgesetzt worden war. Gegenüber den echten Detectives verteidigte ich die Serie: Die Fiktionalisierung sei eben
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