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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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küssen. Diese Hierarchie ist unerschütterlich und kann nie ohne Schaden missachtet werden.
    Doch es gibt noch eine andere Hierarchie, nicht minder wichtig, nämlich die der Erfahrung. Sie gilt für die Spezialisten, diejenigen, deren besondere Fähigkeiten bei einem speziellen Job gebührende Achtung verlangen.
    Und sie gilt auch für die Detectives des Morddezernats.
    Fraziers erste Maßnahme aber war die Einführung eines Rotationsprinzips, das die Polizisten kreuz und quer über alle Aufgabengebiete versetzte. Das war sein Plan, um dem ganzen Laden neuen Schwung zu verleihen. Kein Officer, erklärte er, sollte mehr als drei Jahre derselben Aufgabe nachgehen.
    Dass ein Detective des Morddezernats – ganz zu schweigen von anderen Ermittlern bei der Polizei und dem technischen Hilfspersonal – mindestens so lange brauchte, um seine Künste überhaupt zu erlernen und effektiv zu arbeiten, interessierte ihn nicht. Auch, dass ein solches Rotationsprinzip das berufliche Ansehen sämtlicher Männer im Morddezernat missachtete, war ihm gleichgültig. Zur Rechtfertigung verwies Frazier auf seine eigene Laufbahn: Er habe stets nach drei Jahren den Posten gewechselt, weil er anfing, sich zu langweilen und sich nach neuen Herausforderungen sehnte.
    Die Rotation trieb einige der besten Männer aus der Stadt. Sie gingen entweder als Ermittler zu einer Bundesbehörde oder in die umliegenden Counties. Als sich zum Beispiel Gary Childs und Kevin Daviszum Weggehen entschlossen, um sich nicht der neuen Politik beugen zu müssen, fragte ich Frazier in einem Interview, was er über solche Verluste dachte.
    »Das sind Leute, die ein ganzes Team tragen können«, sagte ich.
    »Warum muss denn überhaupt irgendwer getragen werden? Kann nicht einfach jeder im Morddezernat der Beste sein?«
    Eine schlagfertige Antwort. Doch die Wahrheit über das Morddezernat von Baltimore – selbst in den 1970er- und 1980er-Jahren, die seine beste Zeit war, als die Aufklärungsquoten weit über dem Landesdurchschnitt lagen – lautet, dass manche Detectives brillant, manche kompetent und manche ineffektiv waren.
    Doch in jedem Team gab es eben auch einen Worden, einen Childs, einen Davis oder einen Garvey, die den Pfeiler dieses halben Dutzends Männer bildeten und die schwächeren Kollegen im Auge behielten. Mit dreißig Detectives und sechs Sergeants war es möglich, die unerfahreneren Detectives zu beobachten und ihnen gestandene Veteranen zur Seite zu stellen, die dafür sorgten, dass sie ihre Fälle nicht vergeigten.
    Fraziers andere Strategie – außer derjenigen, die guten Leute zu vergraulen – bestand darin, den fünften Stock mit mehr Detectives zu bestücken. Mehr Teams. Mehr neue Detectives. Schließlich wurde die gesamte Abteilung Gewaltverbrechen im fünften Stock mit dem Morddezernat zusammengemischt, und dreißig neue Leute stolperten durch die Fälle.
    Mehr Detectives, weniger Einzelverantwortung. Wenn nun ein Detective einen Anruf in einer bestimmten Mordsache bekam, dann wusste er höchstwahrscheinlich gar nicht, welches Team an dem Fall dran war oder was man einem bestimmten neuen Detective überhaupt zutrauen konnte. Gewiss, es hatte immer schon Grünschnäbel gegeben – einen oder zwei pro Team, und die erfahrenen Detectives hatten ein Auge auf sie, förderten sie und stellten sicher, dass sie keine Whodunits bekamen, ehe sie sich nicht bei mindestens einem Dutzend Fällen als Zweite bewährt hatten oder ein paar Dunker allein gemeistert hatten. Doch nun bestanden ganze Teams aus Männern, die im ersten Jahr dabei waren, und mit dem anhaltenden Weggang von erfahrenen Leuten fiel die Aufklärungsquote dramatisch.
    Nach ein paar Jahren lag sie deutlich unter 50 Prozent – und nur in etwa der Hälfte dieser Fälle kam es dann überhaupt zu einem Urteil. Und wie in jedem Unternehmen galt auch hier: Wenn das Expertenwissen einmal weg ist, kommt es nicht mehr wieder.
    »Sie haben uns zugrunde gerichtet«, sagte mir Garvey, bevor er seine Kündigung einreichte. »Das war eine großartige Truppe, man könnte meine, sie hätten es darauf angelegt, sie kaputtzumachen.«
    Ich hatte in meiner eigenen Arbeitswelt Ähnliches erlebt. Einige der besten Leute der Sun waren zur
New York Times,
zur
Washington Post
und anderen Blättern abgewandert – verjagt durch die institutionelle Arroganz einer Unternehmensführung, die derjenigen der Polizei in nichts nachstand.
    Struck, Wooten, Alvarez, Zorzi, Littwin, Thompson, Lippman, Hyman – einige
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