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Homicide

Homicide

Titel: Homicide
Autoren: David Simon
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scharfsichtige Antwort auf die vernachlässigten Probleme unserer Städte sein, es sollte zeigen, dass unsere Gesellschaft zumindest die Ehrlichkeit und den Verstand aufbringt, sich ihnen zu stellen, wenn sie schon nicht in der Lage ist, sie zu lösen.
    In den Anzeigen der Brauerei Natty Boh wurde Maryland früher »The Land of Pleasant Living«, »Das Land des guten Lebens«, genannt, und ähnlich stolz verkünden die Einwohner von Baltimore gerne: »Wer sich hier nicht wohlfühlt, der fühlt sich nirgends wohl.«
    Solchen Aussagen scheint der Inhalt von
Homicide
und
The Corner
geradezu Hohn zu sprechen, noch mehr der von
The Wire
mit seinem aggressiven und politischen Ton. Aber Sarkasmus ist nicht meine Absicht, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass sich viele Einwohner der Stadt geschmäht fühlen. Wer hier wohnt, der weiß auch, was die Stadt an Gutem zu bieten hat, und spürt, dass sie sich trotz Armut, Gewalt, Schmutz, Missmanagement und Gleichgültigkeit ihren lebendigen Bürgersinn bewahrt hat.
    Vor nicht allzu langer Zeit zahlte die Stadt einer Werbeagentur eine halbe Million Dollar für einen neuen Slogan:
    »Baltimore – Get In On It« – »Baltimore – Das musst du erleben!«.
    Mir gefällt das. Darin drückt sich das Versprechen eines Geheimnisses aus – man muss eben eine Weile durch die Straßen der Stadt gewandert sein, bevor man weiß, was hier auf dem Spiel steht und warum sich so viele Menschen doch noch etwas daraus machen.
    Doch ich gestehe, mein Lieblingsslogan stammt aus einem kleinen Wettbewerb, in dem eine Zeitung auf ihrer Website ihre Leser aufrief, ihre kostenlosen Alternativvorschläge zu den hoch bezahlten Imageberatern abzugeben. Ein Einwohner von Baltimore schrieb augenzwinkernd:
    »It’s Baltimore, hon … duck!« – »Das ist Baltimore, Schatz – geh in Deckung!«.
    Das ist die Art von Haltung und Humor, die den Detectives gefallen würde. Mann, wenn es diesen Spruch als Aufkleber gäbe, den würden sie sich alle auf ihre Zivilfahrzeuge kleben!
    Diese Männer lebten und arbeiteten ohne Illusionen, und spät in der Nacht, wenn ich Passagen des Buchs zum dritten oder vierten Mal umschrieb, wurde mir klar, dass ich versuchte, eine Stimme zu finden, ja, sogar eine Aussage zu machen, die sie als echt anerkennen würden.
    Doch man soll sich nie um die soziale Zusammensetzung der Buchkäufer, die Empfindlichkeiten anderer Journalisten, und, Gott bewahre, schon gar nicht um irgendwelche Jurys kümmern, die einen Buchpreis zu vergeben haben. Als ich mich mit dieser Geschichte vor fünfzehn Jahren an den Computer kettete, da hatte ich einzig und allein das Urteil der Detectives im Kopf. Wenn sie das Buch lesen und es als ehrlich bezeichnen würden, dann würde ich mich nicht dafür schämen müssen, in das Leben anderer eingedrungen zu sein und es für alle sichtbar gemacht zu haben.
    Das soll nicht heißen, dass alles, was ich geschrieben habe, positiv ist oder alle stets von der besten Seite zeigt. Es gibt Stellen in diesem Buch, die den Rassismus, Sexismus und die Homophobie der Männer zeigen, auch, dass sie sich manchmal über die Armut und das Unglück anderer lustig machten. Dennoch erledigten sie immer ihren Job, ganz egal, ob die Leiche nun schwarz, braun oder, eher selten, weiß war. In unserem so schamlosen Zeitalter ist es schon keine Kleinigkeit, wenn jemand überhaupt seine Pflicht erfüllt – da kann man über ein paar kleinere Sünden hinwegsehen. Die Leser lernen, sie ihnen zu vergeben, so wie der Autor sie ihnen vergeben hat, und nach ein paar Hundert Seiten ist die unerschütterliche Aufrichtigkeit dieser Detectives eine positive Eigenschaft, keine Peinlichkeit.
    Im Vorwort zu
Preisen will ich die großen Männer
bat James Agee umAbsolution für seine journalistischen Grenzüberschreitungen. »Und was mir am wichtigsten erscheint: dass die, über die ich schreiben will, menschliche Wesen sind, die unschuldig an Verdrehungen wie diesen, die über ihren Köpfen stattfinden, auf dieser Welt leben; und dass andere ganz ungeheuer fremdartige menschliche Wesen im Dienste noch anderer, noch fremdartigerer bei ihnen wohnten, sie erforschten, sie bespitzelten, verehrten und liebten; und dass jetzt noch andere sie untersuchen, ihr Leben so beiläufig aufgelesen haben als sei es ein Buch …«
    Viele Journalisten glauben, dass zu ihrem Handwerk ein belehrender, analytischer Ton gehört, dass sie mit einer vorgespiegelten, antrainierten Objektivität berichten und so tun
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