Homicide

ein Vorgesetzter vor, die Bänder und die Lederbox nicht inventarisiert und der Asservatenkammer übergeben zu haben. Es wurde ein Verfahren eingeleitet und Edgerton wurde vom Dienst suspendiert, allerdings bei vollem Gehalt. Doch bevor es zum Prozess kam, wurde Edgerton trotz seiner Suspendierung in West Baltimore mit seiner Dienstwaffe gesehen, als er sich mit einem Mann traf, den er als Informanten bezeichnete.
    Donald Worden, ein Weiser unter den Detectives, zeigt gern auf den dicken Wälzer mit dem Verhaltenskodex des Baltimore City Police Department und erklärt: »Wenn sie dich drankriegen wollen, haben sie dich schon.«
    Und das Dezernat wollte Edgerton drankriegen. Es hatte seine Gleichgültigkeit gegenüber der Befehlskette und allem, was nicht im engeren Sinne unter Fallbearbeitung fiel, satt. Bevor noch ein Gericht zusammentrat, überredete man ihn, nach seinem zwanzigjährigen Dienstjubiläum mit voller Rente in den Ruhestand zu gehen. Heute arbeitet er bei verschiedenen Firmen im Sicherheitsbereich.
    Edgertons Partner beim Fall Latonya Wallace, Tom Pellegrini, stocherte weiterhin in der Geschichte herum, jedoch ohne Erfolg. Schließlich suchte er den Fish Man noch ein letztes Mal auf und forderte seinen besten Verdächtigen auf, auf einen Zettel zu schreiben, ob er schuldig sei oder nicht, und dieses Dokument zu verstecken.
    »Wenn Sie sterben«, erklärte ihm Pellegrini, »werde ich den Zettel suchen und zumindest dann die Wahrheit erfahren.«
    Als der Fish Man dann schließlich vor einigen Jahren von dannen ging, fand man nichts dergleichen in seiner Hinterlassenschaft. Manchmal wirkt der Zauber, manchmal eben auch nicht.
    Nachdem Pellegrini in den Ruhestand getreten war, arbeitete er im Auftrag der Vereinten Nationen im Kosovo und brachte dort jungen Detectives die Kunst bei, Todesursachen zu ermitteln. Heute betreibt er ein privates Ermittlungsunternehmen in Maryland.
    Gary Dunnigan arbeitet unter anderem als Ermittler bei einem Versicherungsunternehmen. Eddie Brown ist im Sicherheitsdienst für den Footballverein Baltimore Ravens tätig, ebenso Bertina Silver aus Stantons Schicht. Rick »The Bunk« Requer ist zum Rentenbüro der Polizei übergewechselt, aber als Detective des Morddezernats lebt er in Gestalt des von Wendell Pierce gespielten Bunk Moreland in der Serie
The Wire
weiter, der sogar wie er ständig mit einer Zigarre herumläuft. Die übrigen Detectives aus D’Addarios Schicht – Donald Kincaid, Bob Bowman und David John Brown – sind ebenfalls in den Ruhestand getreten, wobei Dave Brown unfreiwillig seinen Abschied nehmen musste, nachdem er sich bei der Durchsuchung eines leer stehenden Hauses eine schwere Beinverletzung zugezogen hatte.
    Danny Shea starb 1991 an Krebs. Ich habe den erfahrenen Detective nicht begleitet, weil er zu Stantons Schicht gehörte, aber ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich mit ihm in einer Wohnung in Charles Village vor einem Menschen stand, der auf höchst natürliche Weise gestorben war: einer alten Klavierlehrerin, die im Bett ihr Leben ausgehaucht hatte, während ihr Radio leise Musik spielte.
    Es war Ravels »Pavane für eine verstorbene Prinzessin«, und im Gegensatz zu mir erkannte Shea, ein Mann mit großem und vielseitigem Wissen, das Stück auf Anhieb.
    »Ein friedlicher Tod, wie man ihn sich besser nicht wünschen kann«, sagte er und wies mit einem Kopfnicken auf die Leiche. An diesen Augenblick werde ich mich stets erinnern, wenn ich an Danny Shea denke.
    Donald Waltemeyer starb letztes Jahr ebenfalls an Krebs. Nach seinem Weggang aus Baltimore City war er Ermittler beim Aberdeen Police Department im Nordosten von Maryland.
    Als McLarney und andere Mitglieder seines alten Teams mit Veteranen aus Aberdeen bei der Totenwache zusammenkamen, stellte man fest, dass es Waltemeyer gelungen war, sich bei beiden Polizeibehörden gleichermaßen beliebt zu machen und sie zur Weißglut zu bringen. Bei der Beerdigung bestätigten sich Männer in verschiedenen Uniformengegenseitig, dass sie die Ehre gehabt hatten, mit einem unübertrefflichen Ermittler wie einer ebenso unübertrefflichen Nervensäge zusammenarbeiten zu dürfen.
    Unterdessen ist der Polizeipraktikant jenes weit zurückliegenden Jahres immer noch auf freiem Fuß, und sein Aufenthaltsort ist Gegenstand von Gerüchten und vager Spekulationen gewisser Veteranen der Mordkommission. Gelegentlich sieht man ihn bei Filmaufnahmen in Baltimore, in vollgestopften Produktionsbüros und am