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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn
Autoren: Der Liebesunfall
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hätte Marius in diesem Augenblick lieber getan, als seine Lippen ganz sanft auf ihre zu drücken, den warmen Druck leicht zu verstärken, und dann ... und dann ... „Prost“, sagte er stattdessen und hob sein Glas. „Ich freue mich, dass du da bist. Und jetzt entschuldige mich einen Moment, ich muss mal kurz nach meinem Braten sehen.“
    Er öffnete die Backofentür und fühlte, dass sie dicht hinter ihm stand. „Lass mich mal“, sagte sie und nahm ihm das spitze Messer aus der Hand, mit dem er die Festigkeit des Bratens prüfen wollte. „Mit Fleisch kenne ich mich besser aus. Schließlich stamme ich aus einer alten Schlachtersfamilie.“
    Leonie warf einen fachmännischen Blick auf die Lammkeule, die sie kurz mit dem Zeigefinger anstupste. „Löffel bitte“, sagte sie und hielt die Hand nach hinten, in die er einen Esslöffel legte und dabei die zarte Haut ihrer Handinnenfläche spürte. Ein wunderbares Gefühl. Sie goss ein bisschen Bratensaft über das Fleisch und mit einem befriedigten: „Noch eine Viertelstunde“, knallte sie die Backofentür wieder zu. „Ich bin so hungrig, ich könnte eine ganze Kälberherde fressen“, kicherte sie. „Was gibt’s zum Nachtisch?“
    Eine Viertelstunde entfernt saß Hendrik an der Außenbar des „Drei Tageszeiten“ und wartete auf seine Frau. Er hatte bereits einen „Fritz“ vor sich, den sehr schmackhaften weißen Hauswein und den Wirt um eine Zigarre gebeten. Irgendwie war ihm nach etwas, woran er sich festhalten und saugen konnte. Das Baby im Mann, dachte er, leicht amüsiert, der Schnullerersatz. Er beschloss, diesen Abend friedlich ausklingen zu lassen, jede Art von Streit zu vermeiden, sich weder von ihr provozieren zu lassen, noch seinerseits irgendetwas zu tun oder zu sagen, das sie ärgern oder verletzen könnte. Es sollte ein friedlicher Abend werden, weil er sich nach Frieden sehnte. Seine Ehe war schwierig, aber sie hatten schließlich auch grauenvolle Zeiten hinter sich. Und wenn sie wirklich wollte, war er auch bereit, ihr noch einmal ein Kind zu schenken. Falls sie noch einmal Glück hatten. Es hatte leider bei Isabell fast vier Jahre gedauert, sie waren von Arzt zu Arzt gegangen, keiner hatte eine hilfreiche Diagnose stellen können. Sie waren beide organisch völlig gesund.
    „Es gibt zwei Dinge, die wir Menschen mit all unserem Wissen und Können nicht beeinflussen können“, eine Lieblingsweisheit seiner Mutter, „und das sind Liebe und Schwangerschaft. Die hat Gott, der Herr ganz allein in seiner Hand.“
    Sie hatte wohl recht, denn völlig überraschend war Marion mit 36 Jahren auf einem Karibikurlaub doch noch schwanger geworden. Schwangerschaft und Geburt waren problemlos verlaufen. Isabell war ein so süßes, so pflegeleichtes Baby gewesen, dass sie gern noch ein Geschwisterchen gehabt hätten, aber trotz aller Mühe, die sie sich beide gaben, hatte es nie wieder geklappt. Den Anruf des Gynäkologen am Vormittag erklärte er sich deshalb mit ihrem Wunsch, es noch einmal zu probieren.
    Ja, dachte er, selbst überrascht und zog an seiner Zigarre, ja, ich will wieder ein Kind. Ich möchte wieder Vater werden. Wir werden keine jungen Eltern sein, vermutlich sehr ängstliche, aber wir werden unser Kind von ganzem Herzen lieben. Er war sich plötzlich ganz sicher.
    Hendrik von Lehsten blickte hinaus auf die nachtdunkle Straße und sah, wie Marion aus dem Taxi stieg. Sie schaffte es immer wieder, in jeder Situation souverän und elegant zu wirken, und als sie jetzt den dunkelroten Türvorhang des „Drei Tageszeiten“ zur Seite schob und sich suchend umblickte, eine schöne, geheimnisvoll wirkende Frau in den besten Jahren, da fühlte er wieder diesen Besitzerstolz in sich, der die ersten Jahre seiner Ehe begleitet hatte. Meine Frau, dachte er mit einem Anflug fast vergessener Zärtlichkeit, ging ihr entgegen und half ihr aus dem Mantel, ich liebe sie, ich will sie wieder glücklich machen.
    „Du bist ja ausnahmsweise pünktlich“, flüsterte er an ihrem Ohr. „Ich habe mich schon auf eine längere Wartezeit eingestellt.“ Er lächelte sie an, sie lächelte zurück, aber das leichte Zucken ihrer Mundwinkel wirkte eher nervös als entspannt. Er würde nie erfahren, wie viel Selbstbeherrschung sie dieser Abend kostete, wie schuldig sie sich fühlte, wie krampfhaft sie nach den richtigen Worten suchte, wie weit weg sie innerlich schon war. „Wir sitzen am Fenster“, sagte er und nahm ihren Ellenbogen. „Du siehst übrigens wunderschön
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