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Holst, Evelyn

Holst, Evelyn

Titel: Holst, Evelyn
Autoren: Der Liebesunfall
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ein wunderbarer Tag gewesen heute, so leidenschaftlich, so intensiv, dass sie seine Küsse und Umarmungen noch auf ihrer warmen Haut fühlte. „Du musst mit ihm reden, Liebling“, hatte er dicht an ihrem Ohr geflüstert. „Ich möchte leben mit dir, Kinder haben mit dir, ich will alles mit dir.“ Ja, hatte sie zurückgeflüstert und sich in seine Arme geschmiegt, ja, ja ja. Heute werde ich ihm alles sagen. Kein Aufschub mehr. Er muss es endlich erfahren.
    Sie hatte diese Affäre nicht gesucht, im Gegenteil. Ihren Ehemann mit seinem besten Freund zu betrügen, hätte sie unter anderen Umständen äußerst geschmacklos, sogar moralisch zutiefst verwerflich gefunden. Aber Ludwig Kaltenberg war es gewesen, der damals an Isabells winzigem Kindersarg ihre eiskalte Hand gehalten, der sie in all den schrecklichen Tagen danach getröstet hatte, in denen sie stumm und tränenblind ihr Schlafzimmer nicht verlassen konnte. Hendrik war ihr kein Trost gewesen in der schrecklichsten Zeit ihres Lebens, an diesem furchtbaren Sommernachmittag vor drei Jahren, als der Arzt aus dem OP kam und ihnen sagte, dass er nichts mehr habe machen können, die inneren Verletzungen seien zu stark gewesen, es täte ihm unendlich leid. Mit dem Aufschrei „Nein, sie ist nicht tot, ich lass’ doch mein Baby nicht sterben“ hatte er den Arzt zur Seite geschoben und war in den Operationssaal gestürzt. Es lag unter einem weißen Tuch, sein kleines, totes Kind, er hatte es zur Seite gerissen, außer sich vor Verzweiflung. Von draußen hatte sie seine Stimme gehört, laut und schrecklich, wie ein weidwundes Tier. „Isabell, ich bin’s, dein Papa, mach doch die Augen auf, bitte mach die Augen auf.“
    Sie hatten ihr totes Kind in einen Abstellraum geschoben, wo sie sich von ihm verabschieden konnten. Sie hatte sich in diesen schrecklichen Stunden stärker gefühlt als er, der in seinem Kummer völlig aufgelöst schien, aber es war der Hass auf ihn gewesen, der sie zusammengehalten hatte. „Du Mörder“, hatte sie ihn vor der Bahre angezischt. „Du hast unsere Tochter umgebracht. Du bist schuld an ihrem Tod. Ich wünschte, du wärest an ihrer Stelle krepiert.“
    Sie hatte dieses Ventil gebraucht, den Sündenbock, auf dem sie ihre Verzweiflung und ihre Todessehnsucht abladen konnte, sie wäre sonst erstickt an ihrer Qual. Dass sie ihm Unrecht tat, nahm sie in Kauf, ihre Tochter war tot, alles andere war unwichtig.
    Es hatte Wochen gedauert, bis sie ihm überhaupt zuhören, seine Version des Unvorstellbaren ertragen konnte. Er hatte abends im Kaminzimmer auf sie gewartet, das Feuer angezündet, den besten Rotwein aus dem Keller geholt. Uschi hatte eine Ente im Ofen, Marion liebte Geflügel. Es sollte schön sein für sie, das Leben sollte weitergehen. Sie war vom Friedhof gekommen, eine schwarze, traurige Gestalt, die ins Zimmer trat und sich ungläubig umschaute. „Darf ich erfahren was das soll?“, fragte sie mit eisiger Stimme. „Erwartest du Besuch?“ Er sah sie an, ihre schmale, straffgereckte Gestalt, ihre tadellose Frisur, ihre kühlen Augen, die ihn ohne jedes Gefühl musterten, die zu fragen schienen: „Was will dieser Mann von mir, der mein Kind getötet hat?“, und er fühlte einen kalten, trostlosen Stein, da, wo er sein Herz vermutete. „Ich möchte dir erklären, wie es passiert ist“, es war ihm gelungen, seine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen, „und dann möchte ich, dass du mir verzeihst.“ Sie hatte zum Glas gegriffen und den Rotwein in einem einzigen Schluck ausgetrunken. „Ich höre Hendrik“, ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum verstehen konnte.
    Sie setzten sich aufs Sofa und er hatte nach ihrer Hand gegriffen, die sie ihm gern entzogen hätte. Sie war eiskalt und da es seine auch war, hatte er sie nicht wärmen können. „Ich war überraschend nach Hause gekommen, weil ich wichtige Unterlagen auf meinem Schreibtisch vergessen hatte. Du warst nicht da, Uschi passte auf Isabell auf. Ich war in Eile, ich fuhr rückwärts aus der Garage, ich hab sie einfach nicht gesehen.“ Er konnte nicht weiterreden, seine ungeweinten Tränen erdrückten ihn. „Du hast sie einfach nicht gesehen“, wiederholte sie mit tonloser Stimme. „Sie wollte einen Ball aus der Garage holen und dabei hast du sie tot gequetscht. Ich werde dich vorerst nicht verlassen, Hendrik, weil mir dazu die Kräfte fehlen, aber ich weiß nicht, ob ich dir jemals verzeihen kann. Ich kann dir nur versprechen, dass ich es probieren
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