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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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Wurm.
    Auch Ludmilla ist ein Fischblasenmensch. Geh zum Arzt, hatte Ludmilla gesagt. Mit ihrem Zeigefinger war sie sanft die Kerben entlanggefahren, die mir der Schmerz in die Wangen geschnitten hatte. Du kannst doch zum Arzt gehen. Diese Wendung des Gesprächs war mir nicht recht gewesen, und ich hatte mich wieder auf sie geworfen und ihr den Mund zugehalten, wie in der Nacht zuvor, als niemand auf dem Campingplatz einen Ton hören sollte von unserer Liebe im Zelt, und Ludmillas erstickter Schrei steigerte meine Lust ins Unermessliche.
    Bis hierher bin ich aus eigener Kraft gekommen, hatte sie später gesagt, als ich ihr vorschlug, mit mir nach Österreich zu kommen, wir werden sehen, welche Wege das Leben noch für mich vorgezeichnet hat. Ludmilla ist Maschinenbauingenieurin, sie spricht gut Deutsch, mit starkem slawischen Akzent. Sie war stolz darauf, sich in der Zeit des allgemeinen Aufbruchs von der Mündung des Dnjepr ans Ufer dieses böhmischen Fischteiches durchgeschlagen zu haben. Ludmilla arbeitete im kleinen Selbstbedienungsrestaurant des Campingplatzes. Sie schöpfte vorsichtig heiße Suppen in tiefe Teller, Serviettenknödel legte sie fächerförmig auf, bevor sie Gulaschsaft darüber goss, und die gebackenen Karpfenstücke garnierte sie umständlich mit Petersilie, Zitronenscheiben und Essiggurken. Alles machte sie bedächtig, als überreiche sie mit jedem Schöpfer Reis eine wichtige Botschaft.
    Ihre beiden schulpflichtigen Töchter hatte sie bei der Mutter in der ukrainischen Steppenstadt zurückgelassen. Regelmäßig schickte sie Geld. In Cherson ist das Leben nur sehr schwer zu leben, sagte Ludmilla. Unsere Stadt ist die Stadt der Bräute. Auf einen Mann kommen neun Frauen. Es gibt keine Männer und es gibt keine Arbeit. Du lässt dich vermitteln in einer Partneragentur, damit du rauskommst aus der Stadt wie ein Sack Getreide oder ein repariertes Schiff aus einem unserer zwei Häfen. Wo du landen wirst, weißt du nicht. Oder du wirst vermittelt. Als Schönheitstänzerin ins größte Hotel der Stadt. Nur ist das eine Arbeit für ganz junge Mädchen, solange sie noch keine blauen Flecken haben vom Leben und keine Hornhaut und keine Runzeln. Mir hat das Leben zwei Kinder gemacht, und sie werden sich nicht an die Stange des Nachtklubs stellen müssen. Hier habe ich Arbeit, sagte Ludmilla, und das ist besser als nichts. Besorge mir eine Arbeitserlaubnis in deinem Land und ich gehe mit dir.
    Dann sagte sie wieder: Wir werden sehen. Wir werden sehen was der Winter bringt. Wir werden sehen, ob ich in der Fischereigenossenschaft Arbeit bekomme, wenn der Campingplatz geschlossen ist. Wir werden sehen, ob ich hier bleibe. Heute bleibe ich da, und morgen auch, wenn du willst, sagte sie, ich habe frei, und sie setzte sich mit einem dampfenden Teller Kuttelflecksuppe – Drštková – zu mir an den Holztisch des Campingrestaurants. Auch damals schickte sich der Herbsthimmel an, hoch und strahlend zu werden. Weiße Wattewolken schwammen über das Fischteichland. Ein Arbeiter schnitt Holz für den Heizkessel, damit das Wasser für die Duschen auch am Abend noch heiß aus den wackelnden Brauseköpfen sprang. Ludmilla küsste mich. Und ich taumelte durch die letzten Tage meines Urlaubs auf den Monat zu, den die Tschechen Blätterfall nennen.
     
    Nie habe ich erfahren, ob Ludmilla durch eine Partneragentur an den Fischteich gekommen ist. Ich habe Ludmilla nicht mehr gesehen. Meine Fischblase würde ich ins Feuer schmeißen, hoffen, dass sie knallt, und mich zurückwünschen in den tschechischen Monat des Weins und die dazwischenliegenden Jahre zusammenknüllen und sie ebenfalls ins Feuer werfen. Alles würde ich anders machen. Behalte das Haus, würde ich zu der Meinigen sagen, schau wo du bleibst, aber pass mir auf die Kinder auf. Die Kinder hatte sie längst auf ihre Seite gebracht, sie gegen mich aufgehetzt, nur wegen der Kinder bin ich so lange geblieben, und weil die Meinige anders ist als Ludmilla und nur Flausen hat im Kopf und wahrscheinlich alleine nicht durch kommen wird und früher oder später bei uns stranden wird wie Kostič. Ich habe von der Familie seit einigen Monaten nichts mehr gehört. Alles würde ich der Meinigen von Ludmilla erzählen, damit sie weiß, woran sie ist. Wegen des Karpfens ist sie damals nicht mehr mit mir an den Fischteich gefahren. Ich weiß nicht, was mich davon abgehalten hat, so viele Jahre nicht hierher zurückzukehren. Vieles hat sich verändert, aber die Bilder der
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