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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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Geld dafür. Kostič folgten andere. Auch sie haben sich beschwert. Plötzlich wurden meine angesammelten Urlaubstage zum Problem. Könnte ich nahtlos anschließen an den Monat des Weins, würde ich sagen, vergesst mich doch alle. Ich fange neu an. Aber es gibt keinen Anschluss und keinen zweiten Frühling. Ich finde nicht heraus aus der Zeit des Blätterfalls.
    Auf dem Campingplatz, der inzwischen auch privatisiert ist, wissen sie nichts mehr von Ludmilla. Jetzt sind nur mehr wenige Gäste da. Die meisten sind Radfahrer, die für ein, zwei Nächte Station machen auf ihrer Weitwanderstrecke mit kleinen Zelten und dünnen Schlafsäcken und die Zeit bis zum Schlafen im Fernsehraum des Restaurants totschlagen. Jeden Freitag gibt es einen Countryabend. Zum Banjo werden Lieder in tschechischer Sprache gesungen. Ich bleibe ungestört. Mein Zelt steht ganz am Ufer des Teichs. Am Abend legt sich Nebeldunst auf das Wasser, die Bauminsel in der Mitte verschmilzt mit dem gegenüberliegenden Ufer und glüht mit geliehenen Augen wie ein auftauchendes Ungeheuer zu mir herüber. Nachts höre ich die Bisamratten im Schilf und hin und wieder das Aufklatschen eines unruhig springenden Fisches. Zum Frühstück esse ich einen Teller Drštková und trinke das Bier der Rosenberger dazu, und dann mache ich mich auf den Weg.
    Seit einigen Tagen steht ein Wohnwagen mit dem Kennzeichen unserer Stadt auf dem Campingplatz. Er ist etwas abseits abgestellt, ganz am Zaun zur Straße. Ich beobachte die Vorgänge. Tagsüber sind sie ausgeflogen. Nachts höre ich das helle Lachen einer Frau und das Gemurmel eines Mannes. Die karierten Vorhänge bleiben zugezogen. Sie essen auswärts oder kochen im Wagen. In der Morgendämmerung hat sich eine hagere Gestalt vom Wohnwagen zum Toilettentrakt gestohlen. Ich bin ihr nachgeschlichen, konnte aber nur Konturen erkennen. Kann sein, dass ich den Schlupfwinkel von Kostič endlich entdeckt habe. Er hat seinen Auslandsaufenthalt sicher nicht gemeldet. Das bringt einige Wochen Bezugssperre. Die Grenzen sind durchlässig geworden. Wahrscheinlich arbeitet er schwarz hier. Das bedeutet eine saftige Finanzstrafe und Rückzahlung sämtlicher Bezüge. Ich werde der Sache auf den Grund gehen. Sobald Licht im Wohnwagen ist, werde ich Kostič stellen.
    Gestern hat es mich in die alte Stadt gezogen. Die Schwalben haben die Nester in den Arkaden der Březanova-Straße längst verlassen, geblieben ist der Dreck auf frisch getünchten Mauern. Lange stand ich vor dem granitenen Brunnen am Hauptplatz. Pausbäckige Engel schielten höhnisch auf mich und die nervös kreisenden Goldfische im Wasser. Wieder versuchte ich, Ludmillas Spur aufzunehmen. Unsere letzte gemeinsame Nacht hatten wir in ihrem Zimmer in einem verwinkelten Haus in der Nähe des Schweinitzer Tores verbracht. Ich fand das Haus. Geblieben war eine Fassade, davor das Gerüst, dahinter die Baugrube. Vom Schlosspark her schleppte ein Pfau unbeirrbar von mir und meinen Lockrufen seine Schwanzfedern über das Katzenkopfpflaster in den stillen Hof der Brauerei. Über die bunt gefärbelte Rožmberska-Straße kehrte ich zum Hauptplatz zurück, zahlte einer jungen Frau ein paar Münzen und stieg über eine steinerne Wendeltreppe und steile Holzstufen hinauf in den Uhrturm des alten Rathauses. Unter mir drängten sich die Bürgerhäuser mit ihren roten Ziegeldächern und Renaissancegiebeln, davor der Brunnen und die Mariensäule. Helle Linien teilten das Steinpflaster des Platzes in Quadrate, Rechtecke und Trapeze. Blumentröge, Fahrradständer und Sitzbänke gehorchten diesem Aufmarschplan. Ein gelber Kreis zeichnete sich deutlich von seiner granitfarbenen zerstückelten Umgebung ab. In diesem Kreis stand eine Frau. Sie stützte sich an einem Hydranten ab, blickte zu mir herauf und winkte. Sie trug einen schwarzen Gummimantel, schenkelhohe Stiefel und himbeerfarbene Handschuhe. Ich stellte das Objektiv scharf auf sie und wollte gerade abdrücken, da erkannte ich sie. Ich erkannte sie an ihrem blond gefärbten Haar und den vollen Wangen. Ich schrie. Ludmilla stand dort unten. Ruhig lächelnd stand sie da und gab mir Zeichen mit den himbeerroten Händen. Ludmilla, warte auf mich, schrie ich. Menschen kamen aus den Arkadengängen, blieben stehen und schauten zu mir herauf, nur Ludmilla blieb allein in ihrem sandfarbenen Kreis. Ich flog die Stufen hinunter, Ludmilla, brüllte ich gegen die dicken Mauern des Turms, Ludmilla, Ludmilla, warte auf mich, schrie ich, wie ich noch
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