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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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lange genug in den Baum, hörte man die Bienen summen.
     
    Um den Krämpfen auf den Grund zu gehen, ordnete ein Neurologe die Punktion des Rückenmarks an. Es wurden Beruhigungsmittel verabreicht, aber der Schrei der alten Frau war durch die Türen bis auf den Gang heraus zu hören. Die Ursache der Krämpfe fand man hinter diesen Türen nicht. Wimmernd und zuckend blieb die Großmutter gefangen in einem ungebetenen Schlaf.
     
    Es stand schlecht um sie. Die Ärzte erlaubten den Angehörigen, über Nacht zu bleiben. Die Töchter der alten Frau wechselten sich ab. Am Nachmittag war die Mutter im Spital. Das Kind wurde auf sich gestellt. Alleine zum Ballettunterricht und wieder nach Hause, hieß der Auftrag. Ausnahmsweise. Alt genug bist du schon. Taubenmarkt hatte man dem Kind eingeschärft und Biegung. Linie 3 und Linie 38. Es regnete in Strömen. Die Straßenbahn war voll. Das Kind versuchte, nicht im Weg zu sein und Halt zu finden. Das Tropfenglas der Fensterscheibe veränderte die Sicht. Autos schoben sich im Schritttempo über die Brücke. Jeder Wagen rollte in einer leuchtenden Wasserblase durch den Regen. Die Scheinwerfer der Brücken stemmten sich gegen die herabfallenden Wasser. Auf der Donau zerfiel das Licht zu fahlem Dunst. Willst du nicht Platz machen? Erschrocken war das Kind. Es hatte vergessen, Sitzplätze anderen zu überlassen. Eingekeilt zwischen schwarzen Rücken verlor es die Übersicht. Ich muss aussteigen, sagte das Kind. Es erreichte den Ausgang nicht.
    Die Bäume loderten noch einmal auf. Das Kind sammelte Pilze mit roter Milch im Wald und schwarze Beeren. Es lief über Streuobstwiesen und klaubte Äpfel aus dem kalten Gras. Die Äpfel schmeckten wild und sauer. In vielen war ein Wurm. Der Tod erreichte sie auf freier Fahrt. Ein Anruf auf der Autobahn. Jetzt hat sie ausgelitten. Sie kam noch einmal zu Bewusstsein. Und weinte eine Träne. Dann war es aus. Im Fond des Wagens saß das Kind und hielt sich die Ohren zu.
     
    Verloren stand das Kind zwischen den Erwachsenen. Trauergäste schüttelten die Hand oder strichen übers Haar. Der Sarg kam zum Lieblingslied der alten Frau. Ein Gesteck mit leuchtenden Sonnenblumen lag auf dem Deckel. Das Kind entzifferte seinen Namen auf der schwarzen Schleife. Jemand erzählte von Fabrik und schwerem Leben, von Unterdrückung und Unbeirrbarkeit. Konturen lösten sich auf, Farben vermischten sich, der Sarg begann zu schwimmen. Mit seinem Sonnenblumenlicht steuerte er durch die Tränenschleier und verschwand wieder. Über ihm schloss sich eine Schiebetür mit bösem Laut.
     
    Drei Tage blieben, um das Zimmer der alten Frau zu räumen. Heimplätze waren begehrt. Die Töchter hatten zu tun. Wer braucht Schuhe, Wäsche, Hüte und Westen einer alten Frau, wer Reproduktionen vom Traunsee, Zierkrüge und Stoffblumen. Die Schachtel mit den Fotos wurde nicht entsorgt. Auf einem Bild mit vergilbtem Rand stand die Großmutter als Kind barfuß in einer Gartentür. Skeptisch und ungeduldig schaute sie herüber, als sei sie aus dem Spiel gerissen worden. Schwarzweiß war das Foto und gestochen scharf. Die Zehen der Großmutter bohrten sich in lockere Erde.
     
    Das Kind malte eine Brücke. In schwarzen Doppelbögen führte sie über den nachtblauen Fluss. Die Brücke fand auf dem grünen Ufer keinen Halt. Sie ragte in die Luft. Mit schwarzer Farbe rammte das Kind einen zusätzlichen Pfeiler in das Bild. Die Brücke trieb mit dem Fluss davon. Das Kind tauchte den Pinsel ins Wasser. Mit breiten, nassen Strichen fuhr es über das Blatt, bis von Ufer, Fluss und Brücke nur mehr Wellen übrig geblieben waren. Eine dunkle Flut riss alles mit, schwappte über den Rand des Zeichenblattes und verlor sich auf der Holzmaserung des Tisches. Das nasse Papier krümmte sich unter den gelben und roten Farbtropfen, die ihm das Kind entgegenschleuderte. Blütenstaub und rote Kirschen trieben fort, lösten sich auf, wurden eins, wirbelten weiter zu einem Foto von schwarzen Zehen auf warmer Erde. Das Kind beschloss, eine neue Brücke zu malen.

Unterhillinglah
    Sie war keine gute Büglerin. Sie war nie eine gute Büglerin gewesen. Das Eisen gehorchte nicht. Es keuchte ihr Wasserdampf mit falschem Lavendelaroma ins Gesicht und richtete gegen die Knitterfalten nichts aus. Das Bügeln war die Strafe. Wer sich vom Teufel hatte reiten lassen, wurde mit heißem Eisen traktiert, bis Empfindung und Lebenslust gewichen waren. Eine alte Geschichte.
    Sie war nicht alleine. In allen umliegenden
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