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Hohe Wasser

Hohe Wasser

Titel: Hohe Wasser
Autoren: Eugenie Kain
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Kostič seufzte. Kostič ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Da war keine Spannung, keine Haltung, kein Wollen. Kostič saß nur da und seufzte, und mir wurde schlagartig bewusst: So sitzt er auch, wenn sie ihn nach seinen Stärken fragen. Sitzt da bei den Vorstellungsgesprächen und seufzt, und deshalb nimmt ihn keiner, und es wird schwer sein, ihm Verweigerung nachzuweisen. Ich hatte ein gutes Verhältnis zu Kostič. Ich spielte mit offenen Karten. Es war nicht meine Aufgabe, gemütlich zu sein. Die Leute sollten draußen in der Wirtschaft Fuß fassen, nicht bei uns. Kostič wäre gerne Konditor geworden. Kein Angebot, keine Nachfrage. Irgendjemand musste ihn bearbeitet haben und ihm klar gemacht, dass es ihm im Kern der Sache ja nur um den Umgang mit Lebensmitteln ging. Das Drumherum war Garnitur. Da der Streusel, dort die Wursthaut, drinnen die Arbeit. Warum den Punschkrapferln nachrennen, wenn die Leberkässemmeln auf dich zufliegen. Kostič wurde Fleischhauer, kämpfte sich ein paar Jahre zwischen Rindervierteln und Schweinehälften durch Fleischhauereien und Schlachthöfe, und als ihm bewusst wurde, dass es für ihn keinen Ausgang zu den Torten gab, wurde er Vegetarier und begann zu seufzen. So muss es gewesen sein. Denn bald darauf strandete er bei uns, und es war schwierig, ihm beizubringen, dass wir bei der Arbeitssuche Essgewohnheiten nicht berücksichtigen.
    Herr Kostič, Sie müssen den Karpfen nicht umbringen, sagte ich, Sie hätten mir nur sagen sollen, wie Sie es machen würden. Kostič antwortete nicht, und weil er wieder seufzte, gab ich ihm ein Inserat zum Vorstellen als Lagerarbeiter im Gefrierraum des Schlachthofs.
    Als kurz darauf einer der beiden Karpfen mit der Bauchflosse nach oben tot im Wasser schaukelte, legte ich Hand an. Der Meinigen nahm ich ein großes Schneidbrett weg, dem anderen Karpfen warf ich ein Geschirrtuch über den Kopf. Mit dem schwersten Hammer aus dem Werkzeugkasten schlug ich zu. Der Karpfen bäumte sich auf. Einmal, zweimal, noch einmal. Natürlich war ich es, der ihn ausnehmen musste. Zum ersten Mal in meinem Leben hielt ich eine Fischblase in der Hand. Auch die Kinder befühlten sie und staunten.
    Mit der Fischblase, hatte ich den Kindern erklärt, hält sich der Karpfen im Gleichgewicht. Im Feuer zerplatzt sie mit einem lauten Knall, und dann wird Wirklichkeit, woran wir gerade denken. In welchem Feuer?
     
    Heute weiß ich mehr. Fische schweben im Wasser. Mit Hilfe der Fischblase steigen sie auf oder ab, wo und wann sie wollen. Der Karpfen wühlt am schlammigen Boden des Teichs und kann kopfstehen dabei dank seiner zweigeteilten Fischblase.
    Ich stand im Badezimmer und schaute den immer heller wirbelnden Fischblutwolken im Waschbecken nach, als es in der Küche unruhig wurde. Der Karpfen sollte wieder serbisch werden. Aber jedes Mal, wenn die Meinige den Fisch durchschnitt, schlug sein Schwanz aus. Einmal, zweimal, noch einmal. Ich nahm ihr das Messer aus der Hand. Später in der Pfanne wieder dasselbe Spiel. Portioniert und in Mehl und Paprikapulver gedrückt, begannen die Karpfenstücke im heißen Fett zu zucken, sie robbten und zitterten aufeinander zu, als wollten sie in einem letzten Tanz noch einmal eins werden. Die Meinige schrie.
    Das müssen die Nerven sein, sagte ich. Natürlich war ich der Einzige, der an diesem Abend Karpfen aß, die Kinder und die Meinige hielten sich an die Beilagen.
    Esst, sagte ich, sonst ist auch dieser Karpfen umsonst gestorben. Die Meinige stieß ihren Teller weg. Zum ersten Mal sah ich, dass sie mich hasste.
    Heute weiß ich mehr. Auch Menschen haben eine Art Fischblase. Die meisten. Kostič zum Beispiel. Er taucht einfach weg, wenn ihm der Druck zu groß wird. Er taucht weg, entgleitet, verschwindet und taucht plötzlich wieder auf. Oder die Meinige. Mach was, sagte sie, wenn es eng wurde und sie eine Entscheidung hätte treffen müssen, mach doch was du willst, oder sie sagte, ich bin keine von deinen Leuten, so kannst du mit mir nicht reden, und weg war sie mit ihren Gedanken, sie verschwand in ihrem Zimmer, stundenlang, nächtelang, und wenn sie wieder auftauchte, sah sie durch mich hindurch. Ich bin kein Fischblasenmensch. Wo ich bei anderen das Organ für den Druckausgleich vermute, ist bei mir eine wunde Stelle. Ich kann dem Druck nicht ausweichen und nicht davontauchen. Ein dumpf brennender Schmerz hat sich eingenistet. Manchmal nimmt er mir die Luft, manchmal lässt er mich zusammenfahren wie die Schuhspitze den
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