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Hoellenfeuer

Hoellenfeuer

Titel: Hoellenfeuer
Autoren: Peter Conrad
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angefangen, mich mies zu fühlen. Ich fürchte, es wird lange dauern, bis ich darüber hinweg bin “, erwiderte Eleanor leise.
    Bess lachte , aber seltsamerweise fühlte Eleanor sich von diesem Lachen nicht angegriffen. Stattdessen verzog sich auch ihr Gesicht zu einem gequälten Lächeln. Vermutlich hatte sie gerade den längsten Satz gesprochen, seitdem sie vor acht Tagen hier eingewiesen worden war.
    Bess' Lachen verklang und ihr Blick wanderte zu Eleanors Handgelenken, die noch immer bandagiert waren. Unter ihrem Blick verkniff Eleanor den Mund und zog instinktiv ihre Handgelenke zurück, um sie unter ihren verschränkten Armen zu verbergen. Sie wartete auf die unausgesprochene Frage nach dem Warum für ihre Anwesenheit an diesem Ort.
    Doch der Augenblick verstrich und Bess stellte die Frage nicht.
    Nach einer Weile blickte Eleanor wieder auf und sah Bess verstohlen an, die ihrerseits die geschäftig summenden Insekten beobachtete.
    Eine Bewegung am Rande des Gartens zog die Blicke der beiden auf sich. Dort stand Schwester Emily, um Eleanor abzuholen. Mit einem leisen Seufzen erhob Eleanor sich.
    „Kommst du morgen wieder?“, fragte Bess.
    „Ich weiß nicht. ..“, erwiderte Eleanor verunsichert. Dann ging sie schleppend auf Schwester Emily zu und folgte ihr zu der morgendlichen Therapiesitzung.
     
    „Nun, ich habe gehört, du hättest letzte Nacht endlich einmal tief und fest geschlafen“, begann Dr. Marcus das Gespräch lächelnd. „Ich hoffe, du hast dich etwas erholt.“
    Eleanor nickte unbeholfen. Sie hatte nicht vor, Dr. Marcus zu erzählen, unter welch merkwürdigen Umständen sie erwacht war. Ebenso wenig, über was sie geträumt hatte. Mehr denn je hatte sie den Eindruck, dass ihre geträumten Erlebnisse nicht an diesen Ort gehörten. Und nicht in diese Welt.
    „Gut “, sagte Dr. Marcus. „Vielleicht kommst du in der kommenden Nacht schon ohne Schlafmittel aus. Wollen wir es versuchen?“
    „Nein!“, schreckte Eleanor auf. Dr. Marcus zuckte bei dieser unerwartet heftigen Reaktion zurück. In seinen Augen war dies die erste wirklich starke Gemütsregung von Eleanor Storm seit ihrer Einweisung gewesen. Bislang war sie geradezu ein Musterbeispiel für depressive Passivität. Offenbar war ihr Bedürfnis nach Schlaf und der damit eingehenden seelischen Verdrängungsphase stärker, als er bislang angenommen hatte. Auf der anderen Seite hatte er von Dr. Reynold eben erst eine beunruhigende Rückmeldung erhalten, die auf gewisse Nebenwirkungen des Medikamentes bei Ms Storm schließen ließ. Dr. Marcus überlegte eine Weile, bis er sich der Tatsache bewusst wurde, dass seine Patientin ihn noch immer beunruhigt anstarrte. Bislang wissen wir beinahe nichts darüber, ob der Vorfall beim Wecken heute Morgen tatsächlich auf das Medikament zurückzuführen war, dachte er. Einen zweiten Versuch werden wir riskieren können. Sollte es wieder zu unerwarteten Geschehnissen kommen, können wir immer noch auf ein anderes Sedativum setzen.
    Er nickte Eleanor freundlich zu. „Gut, versuchen wir es noch einmal mit demselben Medikament wie vergangene Nacht “, sagte er schließlich.
     

Raphael
     
    Der Wind pfiff um die Türme der Kathedrale von Chartres. Wir schrieben das Jahr des Herrn 1536. In dieser Aprilnacht war es nicht länger wirklich kalt, doch Regenschauer zogen über den finsteren Himmel, vorangetrieben von unnachgiebigen Winden und Böen. Die meisten Bewohner der Stadt hatten sich längst in die vermeintlich sicheren Mauern ihrer Häuser zurückgezogen.
    Doch in dieser Nacht erklomm jemand die steilen Treppen des Westturmes der Kathedrale. Weder windgepeitschte Schauer, noch die immer öfter auftretenden Blitze und das beständige dumpfe Donnergrollen hielten ihn auf. Die kleine Lampe in der Hand dieser Person schien sich wie von selbst beständig durch die düsteren, steinernen Treppenhäuser den Turm emporzuarbeiten, bis sich schließlich die Tür auf der obersten Plattform öffnete und ein junges Mädchen ins Freie trat.
    Sie blickte sich suchend um und entdeckte die Brüstung, die den Turm sicherte. Mit eiligen Schritten lief sie darauf zu und blieb unmittelbar davor stehen. Die Dämonenköpfe der Wasserspeier spien die Regenwasser von hier aus in hohem Bogen hinab auf die Stadt und ein beständiges Rauschen erfüllte die Luft.
    Das Mädchen stellte die Laterne neben sich auf den Boden und begann, die Brüstung zu erklettern. Der Regen war mittlerweile so stark geworden, dass er die Tränen in
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