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Hoellenengel

Hoellenengel

Titel: Hoellenengel
Autoren: Thráinn Bertelsson
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sich erhalten
haben.
    Der Grund dafür, warum ich einen klaren Kopf haben will, wenn
ich meine Frau nachher treffe, ist der, dass sie Alkoholikerin
ist.«
    »Alkoholikerin?«, fragte van Turenhout. »Das tut
mir leid.«
    »Kein Problem«, sagte Víkingur. »Ihr
Konsum ist in unserer Beziehung kein Problem. Seit ich
Þórhildur kenne, habe ich sie nie angeheitert erlebt.
Der Konsum ihres Sohnes ist das eigentliche Problem. Das meinte
ich, als ich von passivem Drogenkonsum als Pendant zum
Passivrauchen sprach. Seine Krankheit hat Einfluss auf uns. Der
Rauschgiftkonsum des Jungen verursacht seiner Mutter wahrscheinlich
mehr Leiden als ihm selbst.«
    »Ich verstehe«, sagte van Turenhout.
    »Und das Leiden meiner Frau macht wiederum mir Sorgen. So
infiziert man sich mit den Folgen von Drogenkonsum, einer beim
anderen. Weil du so freundlich bist, dich nach dem Jungen
umzuhören, möchte ich dir ein bisschen mehr über
unsere Situation erzählen. Þórhildur, seine
Mutter, studierte Medizin. Während des Studiums heiratete sie
einen Ingenieursstudenten. Sie gingen beide gern aus. Er hatte mehr
Durchhaltevermögen als sie und erholte sich nach den
Wochenenden auch schneller. Þórhildur fand heraus,
dass sie länger feiern konnte, wenn sie Amphetamine nahm und
den anschließenden Kater mit Beruhigungsmitteln
bekämpfte. Das funktionierte ganz hervorragend. Dann wurde
Þórhildur schwanger, und weil sie den Alkohol- und
Drogenkonsum ohne große Schwierigkeiten während der
Schwangerschaft einstellen konnte, betrachtete sie sich als
offensichtlich nicht süchtig.
    Als Þórhildur das Studium beendet hatte, bot man ihr
eine Stelle als Oberärztin einer großen Region in
Nordisland an. Das war eine gute Gelegenheit, viel Erfahrung zu
sammeln und in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen.
    Aber das junge Ehepaar langweilte sich in dem kleinen Dorf weit
entfernt von den Freunden und Angehörigen in Reykjavík.
Er musste sein Studium unterbrechen und sich um den Haushalt
kümmern. Die einzige Abwechslung war, sich am Wochenende
kräftig zu betrinken und große Partys zu feiern, wenn
Besuch aus dem Süden kam.   
     
    Þórhildur begann auch wieder Drogen zu nehmen, um sich
sowohl den Gästen als auch der Arbeit gewachsen zu
fühlen.
    Eines Sonntagmorgens im Dezember wurde die Oberärztin wegen
eines Notfalls auf einen entfernten Hof gerufen.
    Þórhildur hatte sich gerade ins Bett gelegt, nach
einem Hausfest für ihre Freunde aus Reykjavík, die
über die Weihnachtsfeiertage bleiben wollten. Um wenigstens
ein bisschen Schlaf zu bekommen, hatte sie eine ordentliche Dosis
Beruhigungstabletten genommen. Sie hatte damit den Effekt ihrer
nächtlichen Erfrischung durch Amphetamin dämpfen wollen.
Sie schaffte es, aufzustehen und sich Amphetamin aus dem
Medizinschrank zu holen, um klar im Kopf zu werden. Dann, noch bei
Dunkelheit und Schneefall, brach sie in ihrem großen
Geländewagen auf.«
    Víkingur schwieg. Er wunderte sich über sich
selbst.
    Diese Geschichte hatte er lange in seinem Inneren verwahrt und nie
in Betracht gezogen, sie mit jemandem zu teilen. Und jetzt
saß er in einem Restaurant in Amsterdam und vertraute sich
einem vollkommen fremden Mann an.
    »Dunkelheit und Schneefall«, sagte van Turenhout mit
einem verträumten Ausdruck im Gesicht.
»Island.«
    »Als es schon fast Mittag war, kam ein zweiter Anruf von dem
Bauernhof mit der erneuten Bitte um ärztliche Hilfe. Da
kontaktierte Þórhildurs Mann den örtlichen
Rettungsdienst, der einen Motorschlitten zu dem Kranken schickte.
Nach ihrer Rückkehr berichteten die Mitglieder der
Rettungsmannschaft, die Ärztin unterwegs nirgendwo gesehen zu
haben. Dunkelheit hatte sich breitgemacht und der Schneefall war zu
einem schweren Schneesturm geworden, also waren die Bedingungen
für eine Suchaktion miserabel. Als der Suchtrupp kurz vor dem
Abmarsch stand, kam ein Lastwagenfahrer an und berichtete, dass das
Auto der Landärztin umgestürzt in einer Felsschlucht etwa
zehn Minuten von dem Bauernhof entfernt läge ­ aber an
einer völlig anderen Route als der, die man normalerweise
dorthin gewählt hätte. Þórhildur war im Auto
eingeklemmt. Sie war bei Bewusstsein und kam mit ein paar
Knochenbrüchen und kleineren Wunden erstaunlich glimpflich
davon.
    Damit war der Aufenthalt der beiden an dem Ort beendet. Sie verlor
ihre Zulassung als Ärztin. Die Ehe, die wohl auch nicht mehr
besonders glücklich war, endete mit einer Scheidung, und in
Anbetracht der Vorgeschichte bekam der
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